Zen Geist
"Die Inhalte des Zen auf die Herstellung eines Motorrades übertragen"
2004 fand Indian Larry am möglichen Höhepunkt seines Lebensinhalts den Tod. In dem Bemühen den Wesenskern seiner Arbeiten in Worte zu fassen, werden seither immer wieder die Inhalte des Zen zitiert. Für diejenigen, die diese Zitate nicht einfach überlesen, stellt sich die Frage, in wie weit sich die Inhalte der japanischen Zen Philosophie auf den Entstehungsprozess eines Motorrades übertragen lassen?
Tatsächlich finden sich gerade in der Dokumentation zu seinem letzten Bikers Build Off, dessen Abschluss Indian Larry nicht mehr erlebte und der damit zu seinem Vermächtnis wurde, Hinweise darauf, dass sich der inzwischen zum Meister der alten Schule ernannte Motorradbauer neben anderen Quellen seiner Inspiration auch von den Inhalten des Zen angesprochen fühlte. Das Fragezeichen, dass sich als ein wesentlicher Bestandteil seiner Lebensphilosophie auch im Logo seiner Werkstatt wieder fand, verstand er nach eigener Aussage als den Ausdruck seines Verständnisses von Zen. Er sah es möglicherweise als ein Sinnbild für all die Fragen, mit denen sich der Mensch über die gesamte Spanne seines Lebens beschäftigt und die sich am Ende eines Weges nicht nur der Lehre des Zen folgend, allesamt im nichts Auflösen. Darüber hinaus äußerte er die Hoffnung den Bikes Build Off ein drittes Mal gewinnen zu können, um über diesen bislang einmaligen Erfolg auch die Bemühungen seiner Mitarbeiter gewürdigt zu wissen, so als sehe er selbst darin in gewisser Weise den Abschluss eines Teilaspektes seiner Arbeit. Dass er diesen Abschluss mit seinem Tod besiegeln würde, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen. Doch gerade aus diesen Zusammenhängen ergibt sich ein Großteil der Faszination um die Person Indian Larry.
Allen Entwicklungen und Modeströmungen zum Trotz, sieht eine große Zahl der Freunde alter Schule in den Arbeiten die Indian Larry der Custom Bike Szene hinterlassen hat, die Grundlage eigener Ideen und nicht selten spricht man die Magie an, die in diesen Arbeiten zu finden ist und bedingt auch von einem Hauch des, dieser Magie innewohnenden Zen. Doch worin der Aspekt des Zen in seinen Arbeiten tatsächlich begründet liegt, vermag in der Folge kaum jemand nachvollziehbar zu erklären.
Und so bleibt der viel beschworene Hauch des Zen, auch in den Aufbauten Indian Larrys leider nur ein Hauch. Eine diffuse Andeutung eines tieferen Inhalts des eigenen Schaffens. Ein Inhalt, der über die Multiplikatoren der Szene gerne zu einem mehr oder weniger großen Ballon aufgeblasen wird, um am Ende möglicherweise doch nichts weiter zu sein als die bloße Illusion eines tieferen Sinns. Dabei lässt sich der Wesenskern des Zen am Beispiel der Künste, die sich dieser Inhalte im Sinne einer persönlichen Entwicklung seit Jahrhunderten bedienen, einfach und allgemein nachvollziehbar erklären. In Japan, dem Ursprungsland der Zen Philosophie stehen nahezu alle Kunstformen, die diesen Wesenskern, bestehend aus dem Bemühen zur Auflösung des eigenen Egos, zur Entwicklung der eigenen Person innerhalb der ausgeübten Kunstform nutzen, in einer engen Verbindung zu diesem Wesenskern.
Diese Künste betrachten den Wesenskern des Zen fern jeder kreativen Spielerei als einen Weg der Endgültigkeit, in der sich der Vorgang einer Entscheidungsfindung (an dieser Stelle sei an das Fragezeichen im Werkstattlogo Indian Larry´s erinnert) mit dem bewussten Schritt zur Entscheidung in all seinen Facetten aufzulösen beginnt.
Wenn sich der Pfeil im japanischen Kyudo, der Kunst des Bogenschießens von der Sehne löst, löst sich damit auch die Entscheidung zum Auslösen des Schusses auf. Wenn die Schere eine Blüte im japanischen Ikebana, der Kunst des Blumensteckens vom Zweig trennt, löst sich damit auch die Entscheidung den Schnitt zu vollziehen auf. Mit jeder dieser nachträglich nicht mehr zu korrigierenden Entscheidung wird die Möglichkeit eines rückwärts gerichteten Weges ausgeschlossen. Im Idealfall existiert an dieser Stelle ein klares Bewusstsein für den Augenblick im Hier und Jetzt, bis auch dieser sich in der Vergangenheit verliert.
An Hand dieser einfachen Beispiele sollte bereits deutlich werden, worin das Wesen des Zen zu suchen ist. Gleichzeitig dürfte mit diesen Beispielen ebenso deutlich werden, dass sich der Wesenkern des Zen, obwohl er sich durchaus auf ein Custom Motorrad übertragen ließe, in der Summe aller in der Öffentlichkeit beschworenen Verbindungen, einer eingehenden Betrachtung kaum standhalten wird.
Während sich der Blick im Zen nach innen richtet, ist davon auszugehen, dass 99,9% aller Custom Motorradaufbauten eine nach außen gerichtete Wirkung verfolgen. Ein Custom Motorrad im Geiste des Zen zu schaffen, würde bedeuten jedes einzelne Teil des Aufbaus auf seinen tatsächlichen Wesenkern zu reduzieren, dem Ganzen unterzuordnen und die Summe all dieser Teile zu einem, vom Geist des Zen getragenen Motorrad zusammenzufügen.
Mit der gern beschworenen Magie des Zen, hat dies allerdings nichts zu tun. Statt auf die Kraft der Magie, setzt der Geist des Zen auf etwas, das man in jeder bodenständigen Schrauberbude der westlichen Welt bereits kennt und in eigener Tradition pflegt. Etwas, das man dort als klare Kante bezeichnet und es, obwohl es in seiner Bodenständigkeit dem Wesen des Zen sehr Nahe steht, kaum mit den Inhalten des Zen in Verbindung bringen würde. Auf die Motorräder Indian Larrys übertragen, bleibt zu sagen, das diese trotz ihrer unbestrittenen handwerklichen Qualität, ihrer zum Teil innovativen Ausführungen und Problemlösungen und der spürbaren Präsenz ihres Erbauers gleichzeitig zu verspielt sind, um sie beispielhaft mit den Inhalten des Zen in Verbindung bringen zu können.
In seinem Einfluss auf den menschlichen Geist strebt die Lehre des Zen die Auflösung des Egos an. Auf die Herstellung eines Motorrades übertragen, bedeutet dies die Reduktion der Summe aller Teile auf das was sie tatsächlich sind und unterscheidet sich damit deutlich von einer vom Ego eines Motorradbauers gesteuerte Vorstellung dessen, was diese Teile seiner Meinung nach einmal sein könnten.
Das 1976 von Robert Maynard Pirsig veröffentlichte Buch Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten (Fischer Verlag, Frankfurt 1976, ISBN 3-10-061901-3) könnte als der gedankliche Urvater einer Verbindung von Zen und Motorradbau gesehen werden. Die Verbindung des Zen Gedankens zur gegenwärtig aktiven Custom Motorrad Szene dürfte sich allerdings erst im Zeitraum des letzten Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts vollzogen haben. Über das Vibes Magazin, das seit November 1991 in Japan herausgegeben wird und das 2002 zu den Arbeiten von Shinya Kumura entstandene Buch Zero Chopper Spirit wurde den Custom Motorrad bezogenen Printmedien der westlichen Welt die ersten Arbeiten japanischer Motorradbauer ins Bewusstsein gerückt. Darüber hinaus ist es der heute über das Internet gebotenen Informationsvielfalt geschuldet, das der Keim japanischen Denkens im Motorradbau auch in westlichen Schrauberbuden auf einen fruchtbaren Nährboden stieß.
In dem Bemühen, die Besonderheiten des außergewöhnlichen Stils, der in Japan aufgebauten Motorräder hervorzuheben, begann man sich zunehmend dem Begriff des Zen zu bedienen, um dem Offensichtlichen eine Schublade zu bieten, dass sich mit den bisher gepflegten Inhalten der westlichen Custombike Szene kaum beschreiben ließ.
Im Zuge dieser Entwicklung wurde der Bergriff des Zen innerhalb der Bikers Build Off Dokumentationen bemüht, wenn es darum ging die Fähigkeiten japanischer Motorradbauer in ein besonderes Licht zu rücken und weil deren Aufbauten nun offensichtlich in der Tradition des Zen entstanden, wurden die Erbauer dieser Motorräder einer schlichten Logik folgend zu Zen Meistern des Motorradbaus erhoben.
Werden heute Motorradbauer wie Shinya Kimura, Yasuyoshi "Chica" Chikazawa oder Chicara Nagata mit dem Begriff des Zen Meisters konfrontiert, pflegen diese höflich zu Lächeln und zu schweigen. Eine Reaktion, die ein sich geschmeichelt fühlen und tieferes Wissen suggeriert, tatsächlich jedoch eher dem Gefühl einer peinlich berührten Betroffenheit Ausdruck verleiht. Zen ist in Japan eine klar definierte Größe und wird dementsprechend kaum mit so etwas Profanem wie dem Bau eines Motorrades in Verbindung gebracht. Selbst wenn man diesen Gedanken innerhalb der dort geleisteten Arbeit nicht ausschließen kann, würde kaum einer der genannten japanischen Motorradbauer soweit gehen, sich selber als Zen Meister des Motorradbaus bezeichnen.
Für sie stellt die von ihnen auf die Räder gestellte Arbeit schlicht ein Ergebnis intensiver Beschäftigung mit alter Handwerkskunst dar, deren Erkenntnisse sie Pflegen und auf den Bau von Motorrädern zur Anwendung bringen. In dem sie dieses Handwerk in der Wahrnehmung des westlichen Betrachters auf die Spitze zu treiben scheinen, wandelt sich ihre Arbeit zu einer, in ihrer Form einzigartig scheinenden Kunstfertigkeit und doch bleibt es, obwohl sie die Sinne des westlichen Betrachters auf wundersame Weise zum Schwingen bringt, schlicht und ergreifend ein Motorrad.
Wer den Ausdruck des Zen in den Aufbauten japanischer Motorradbauer sucht, der wird ihn neben dem hohen Grad an handwerklichen Fähigkeiten und einer beeindruckend klaren Linienführung und der ebenso klaren Kompromisslosigkeit in Aufbau und Umsetzung finden. Und genau diese Kompromisslosigkeit zeichnet dafür verantwortlich, warum die Grundsätze des Zen in seiner klaren, meist sehr reduzierten Linienführung und die in der westlichen Welt an ein Custom Motorrad gestellten Vorgaben selten miteinander in Einklang zu bringen sind.
Bei der Betrachtung der Arbeiten derer, die mit dem Geist des Zen in Verbindung gebracht werden, fällt auf, dass die Zahl der jährlich zum Abschluss gebrachten Aufbauten sehr überschaubar bleibt. Statt einen durchaus gebotenen und auch interessierten Markt zu bedienen, stellt man in den in Frage kommenden Werkstätten lediglich ein bis zwei Motorräder im Jahr auf die Räder, ohne dabei an einen möglichen Kunden zu denken oder gar dem Wunsch eines Kunden entsprechen zu müssen.
Während man sich in einer Verkaufs orientierten Werkstatt am Markt orientiert und sein Fähnchen beständig in den Wind der gerade angesagten Mode hängt, um dem Kunden wie am Fließband genau das zu liefern, was sich dieser dem augenblicklichen Trend entsprechend wünscht, folgt der Zen geprägte Motorradbauer dem Weg seiner persönlichen Inspiration und bedient sich dabei ausschließlich der Inhalte, die die Kraft dieser Inspiration in sich tragen. Die Quelle dieser Inspiration kann dabei sehr unterschiedlich sein.
Während der eine seine Inspiration in Form und Ausführung eines alten Motors findet, fühlt sich ein andere von der Haptik des Arbeitmaterials oder einer Oberflächengestaltung angesprochen oder nutzt ein einzelnes, nebensächlich scheinendes Teil, ein Rücklicht, einen alten Vergaser oder die außergewöhnliche Formensprache eines alten Lenkers als Ausgangsbasis, um ein Motorrad entstehen zu lassen, das dem ersten Gedanken seiner Inspiration entspricht. Ein Vorhaben das in der angestrebten Kraftübertragung offensichtlich selten gelingt. Weitaus häufiger greift das eigene Ego in den Prozess eines von Klarheit und Reduktion getragenen Aufbaus ein und lässt einen Custom Aufbau entstehen, der den Betrachter durchaus auf unterschiedlichen Gefühlsebenen anzusprechen weiß und dem doch der Zustand der Sprachlosigkeit fehlt, der alle vom Geist des Zen getragenen Aufbauten miteinander verbindet. Eine Sprachlosigkeit, bei der es keine Rolle spielt, ob sich ein Aufbau einem Stil zuordnen lässt und man diesen Stil mag oder nicht. Die Perfektion der Linie, die handwerkliche Qualität in der Umsetzung der Arbeit, die Wahl des Materials und der Oberflächengestaltung und die Fähigkeit dies alles fern jeder Mode zu einem Ganzen zu verbinden, fordert vom Betrachter unbedingte Anerkennung.
Ein weiterer Gesichtspunkt der den Zen Gedanken deutlich von der Summe der Custom Motorräder trennt, liegt im Nichtwerten. Ob ein Motorrad Zen besitzt oder nicht ist keine Frage von Gut oder Schlecht. Bei der Beschreibung eines Zen geprägten Motorrades wird häufig von geheinmissvollen Kisten gesprochen, aus denen dieses oder jenes Teil gezogen wurde, um es in der Folge ganz der Magie des Zen entsprechend, zu einem besonderen Teil an einem besonderen Motorrad zu wandeln. Tatsächlich ist jedes Teil das aus einer Kiste gezogen wurde zunächst nichts weiter als ein Teil, das aus einer Kiste gezogen wurde. Fügt es sich dem Geiste des Zen entsprechend harmonisch in das Gesamtbild ein, mag es dem Geist des Zen entsprechen und bleibt doch das was es ursprünglich einmal war. Ein Teil das aus einer Kiste gezogen wurde.
Der Aspekt des Zen wird sich in der Herstellung eines Motorrades eher selten über ein einzelnes Teil zum Ausdruck bringen. Obwohl dies ist nicht generell ausgeschlossen werden kann, wird am Ende die harmonischen Anordnung der Summe aller Teile den Anteil des Zen bestimmen. Auf der Suche nach Zen geprägten Motorrädern wird man immer wieder feststellen, dass diese einem Suchenden begegnen, wenn er bereit dazu ist sie zu finden. Und oft scheinen diese Begegnungen vom Zufall bestimmt zu sein. Doch Zufälle sind im Zen nicht vorgesehen. Weder bei denen die ein Motorrad im Geiste des Zen auf die Räder stellen, noch bei denen die sie in der Folge betrachten.
Beschäftigt man sich mit der Geschichte eines Zen geprägten Motorradbauers, wird man erfahren, dass jedes der von ihnen gefertigten Motorräder einen Eckpunkt ihres Entwicklungsweges darstellt. Und nicht selten sind es Männer, die bevor sie zum Werkzeug greifen um ihre ureigene Inspiration auf die Räder zu stellen, wenig bis nichts mit der handwerklichen Herstellung eines Motorrades zu tun hatten. Da die japanischen Motorradbauer bereits über ihre Kultur mit dem Zen verbunden sind, mag eine solche Entwicklung nicht überraschen. Doch auch im Westen lassen sich solche Beispiele finden. Den Anfang machten zunächst einzelne Teile wie zum Beispiel die inzwischen legendäre, im 3D Verfahren perfekt in Form gefräste Goldammergabel, die in Richtung Zen deuteten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bieten Motorradteile von Kustom Tech Beispiele eines auf den Punkt gebrachten Nutz- und Formwertes dar. Im Bereich der Komplettaufbauten sind es die Motorräder die von Ian Barry unter dem Label Falcon Motorcycles auf die Räder gestellt werden. Mit Sprachlosigkeit erfüllen ebenfalls die Aufbauten, die von Maxwell Hazan aus seiner Werkstatt gerollten werden und der seine Arbeit wie folgt beschreibt:
"Ich liebe Neuanfertigungen, obwohl diese viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen. Ich kann so Motorräder bauen, ohne Kompromisse beim Design eingehen zu müssen - jedes Bauteil geht genau dahin wo und wie ich es möchte. So kann man etwas wirklich Einzigartiges und Reines schaffen."
Doch muss der Blick nicht immer in die Ferne schweifen, um entsprechendes Schauen zu können. Bei Durchblättern der September Ausgabe des Custombike Magazins war es ein Motorraddesign von Sylvain Berneron auf der Basis einer XS 650, das mein Gefühl für Zen in Schwingung versetzte. Obwohl es sich bei den Entwürfen des Franzosen zunächst um Computer generierte eindimensionale Bildschirmfantasien zu handeln scheint, tragen sie doch den Geist des Zen in sich und bis zu dem Zeitpunkt an dem diese Fantasien auf ihren eigenen Rädern aus irgendeiner Werkstatt gerollt werden, ist es nur ein kleiner Schritt. Bleibt die Frage, wer die Bereitschaft in sich trägt, diesen kleinen Schritt zu vollziehen.
In diesem Sinne, Keep on Ridin´ Easy
Text: Gasolin Alley Garage