Kunst des Sitzschmiedens

Manchmal beginnt jemand seine Laufbahn als echter 2 Prozenter. Einer dem das Geld fehlt um sich ein schönes, aber leider zu teures Teil für sein Bike zu kaufen oder einer der sich seine Teile aus Prinzip selber macht. Nicht nur weil er es kann, sondern häufig auch weil er es will oder eben mangels Masse selber machen muss. Und manchmal stellt so einer dann fest, dass dies genau sein Ding ist. Das er sich vorstellen kann, daraus einen Beruf im Wortsinn der Berufung zu machen und aus dem Lager der 2 Prozenter, der  Hinterhof- und Garagenschrauber, auf die Seite der Profis zu wechseln. Von genau so einem berichtet diese Geschichte.
    
"Um das Wissen alter Techniken erhalten zu können, muss man es von den Alten vermittelt bekommen, muss man es von den Alten lernen!"
 
    Ein einfaches Zitat aus der amerikanischen Hot Rod Szene und doch schwingt in ihm der tiefgründige Geist der Wurzeln des Hinterhofschraubens mit. Es mag sein das die Alten in ihrem Verständnis gegenüber des notwendigen Erhalts amerikanischer Handwerkskunst ihr Wissen bereitwillig mit Rookies, mit lerneifrigen Neueinsteigern teilen. Der amerikanische Markt ist hart, doch er ist auch unüberschaubar groß und so wird sich kaum einer der Alten, die sich auf diesem Markt vor allem durch die Qualität ihrer Arbeit und den darüber erworbenen Ruf einen Namen gemacht und Anerkennung und Achtung innerhalb der Szene erworben haben, vor der Konkurrenz nachrückenden Generationen fürchten.
    In Deutschland stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Jeder der hier glaubt mit der Umsetzung einer Idee, eines Traums, auf einem Markt bestehen zu können, den andere mit ähnlichen Ideen und Träumen bereits beackern, stellt automatisch einen Konkurrenten dar, den es zu verbeißen gilt.
    Von den Alten die hier etwas wissen, wird also kaum einer ein Interesse daran haben, dieses Wissen mit Neueinsteigern zu teilen. Das bedeutet, dass Mentoren im Sinne des amerikanischen Traums innerhalb der deutschen Custom Szene eher rar gesät sind und man sich vor allem im Bereich traditioneller Fertigungstechniken auf sein persönliches Geschick verlassen muss.
    Wie viele andere vor ihm, hatte auch Dimitrios Georgoulas von seinen Freunden kurz Jimi gerufen, in der Vergangenheit bewundernd vor den aufwendig gearbeiteten Ledersitzen mancher Custom Bikes gestanden. Wie viele andere, hätte auch er einen solchen Sitz gerne an seinem Bike gesehen und wie vielen anderen, mangelte es auch ihm an den dafür erforderlichen finanziellen Mitteln. Also fasste er den Entschluss sich einen dieser Sitze in Eigenregie herzustellen und auch mit diesem Entschluss dürfte er in der Bikerszene nicht alleine stehen und so verwundert es auch nicht, dass er sich mit dem Ergebnis seines ersten Versuchs alles andere als Zufrieden zeigte.
    Dass er danach nicht das Handtuch warf, machte in seinem Fall den kleinen Unterschied zur Masse aus. Er begann im Internet nach Hilfestellungen und weiterführenden Informationen zu suchen und beglückte nach und nach den gesamten Freundeskreis, oder besser ausgedrückt deren Bikes mit den, aus diesen Informationen geschaffenen Arbeitsproben.
    Über klare Vorsätze und die zur Umsetzung dieser Vorsätze notwendige Willenskraft zu verfügen, bringt auf dem Weg des Erfolgs weitere Vorteile. Jimi verfügt über beides und so sollte ihn jeder Sitz den er in der Folge herstellte ein Stück weiterbringen und als er glaubte soweit zu sein, um den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen, gründete er unter dem Label Spirit Leather seine eigene kleine Werkstatt. Spirit Leather, ein Name der einiges verspricht. Wenn man jedoch das unter diesen Namen angebotene Produkt nicht kannte, konnte dieses Versprechen jedoch alles oder auch nichts bedeuten.
    Eine weitere Besonderheit die Jimi in seiner Arbeit auszeichnet, besteht in dem Bewusstsein, das ein Sitz weit mehr sein kann als eine mit Leder bezogene Blechplatte, die den Fahrer eines Bikes mehr oder weniger bequem seinem Ziel näher bringt. Für Jimi besitzt der Sitz eine eigenständige Seele, die seiner Einstellung nach einen entscheidenden Einfluss auf das gesamte Erscheinungsbild des Bikes und auch des Fahrers nehmen kann.
    Als ich den ersten Sitz aus Jimis Werkstatt in Händen hielt, stach mir deutlich der hohe Anspruch ins Auge, den Jimi an die Qualität der eigenen Arbeit stellte. War etwas von dieser Seelenverbundenheit zu spüren, auch wenn sich bei diesem Sitz in der Optik um keine besondere Arbeit zu handeln schien.
    Kein Prototyp und doch ein Einzelstück. Ein einfacher, mit Leder bezogener Sitz, wie er sie zum Preis von 200,- Euro in seinem Webshop anbietet. Trotz des vergleichsweise günstigen Kurses, war er mit größter Sorgfalt hergestellt. Das Leder war von sehr guter Qualität, die Nähte ausgesprochen sauber gearbeitet und es viel auf, das der ebenfalls mit Leder bezogenen Unterseite des Sitzes die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet worden war wie der Sitzfläche. Ein kleines an dem Sitz befestigtes Faltblatt gab Auskunft über die Philosophie mit der Jimi seiner Berufung folgt und diese mit Inhalt füllt.

"Mit Respekt gegenüber der Lebendigkeit des Leders und dem Geist eines uralten Handwerks, entstehen in aufwendiger Handarbeit wahre Kunstwerke. Von der ersten Entwurfszeichnung bis zur Vollendung durch die Signatur des Künstlers, vergeht nicht ein Moment ohne Sorgfalt."

    Wer in einer, eher einfach und grob orientierten Bikerszene seine Arbeit mit diesen Worten beschreibt, legt die Latte an der die Qualität dieser Arbeit und auch seine eigene Person gemessen wird entsprechend hoch und in einer Zeit, in der die Werbung versucht den Geiz als ein erstrebenswert, cooles Lebensgefühl zu etablieren, fällt es auf, wenn ein Handwerker das Produkt seiner Fähigkeiten als einen Ausdruck seiner Kunst versteht und wie im Beispiel der in der Folge beschriebenen Arbeit alle Register dieser Fähigkeiten zu ziehen weiß.
    Das Bike, das der Kunde bei Boss Performance Motorcycles in Auftrag gegeben hatte, sollte sich am Stil des Japaners Shinya Kimura orientieren. Es sollte in all seinen Facetten den Geist des alten Japan in die Gegenwart übertragen und seinen Besitzer in die Zukunft begleiten. Der Sitz sollte sich dabei nicht als ein Teil unter vielen der Linienführung unterordnen, sondern ihm Rahmen dieser Übertragung eine besondere Schlüsselposition einnehmen.    
    Bei der Herstellung der Grundplatte wählte man bewusst einen Weg abseits der normalen Formensprache und verständigte sich mit Jimi darauf sie in der Form des Blattes eines  Ginkobaums zu gestalten. Zu diesem Zeitpunkt wusste man bei Boss Performance Motorcycles noch nicht, dass man für die Herstellung  zu einer vier Millimeter starke Edelstahlplatte greifen und damit einen Wettbewerb eröffnen würde, den Jimi als Herausforderung verstand und mit fünf Millimeter starken Leder zu kontern wusste.
    Doch bevor Jimi zum Werkzeug greifen und dem Leder ans Leder gehen konnte, standen die noch offenen Fragen zum Thema und der damit verbundenen Stilrichtung im Raum. Ging das Denken eines "normalen" Bikers im Verständnis eines coolen Auftritts eher in Richtung Pin Up, Glücksspiel, Skulls, Wild West oder anderen, mit Flammen garnierten klassischen Bike Motiven, deren gestalterischen Grundregeln Jimi inzwischen verinnerlicht hatte und gerade was den Bereich der Skulls anging im Schlaf beherrschte, betrat er in der Herstellung dieses Sitzes eine für ihn fremde Welt.
    Da er mit der Idee, dem Bike eine japanische Seele einzuhauchen, praktisch an der Nulllinie beginnen musste, wählte er zunächst den Weg über die Literatur, um sich einen Einblick in das traditionell japanische Design zu verschaffen und zeigte sich überrascht, dort trotz der Strenge der Linienführung auf einen Überfluss an floralen Mustern zu stoßen.
    Während bei anderen Projekten Totenköpfe oder Knochenmänner eine zentrale Rolle übernahmen und damit dem allgemein gepflegten Biker Spirit und auch Jimi in die Arme spielten, treten diese Motive in der japanischen Kultur kaum in Erscheinung. Der Schädel ist in den japanischen Darstellungen selbst nach dem Tod meist mit Haut bedeckt und der Raum des Schreckens um den Tod wird in Japan eher durch den Einsatz dämonisch belegter Masken besetzt.
    Die Herausforderung bestand nun darin, die besondere Formensprache japanischer Darstellungselemente zu einem kraftvoll/stimmigen Gesamtbild zu verbinden und dem Sitz damit seine ureigene Seele einzuhauchen ohne es dabei zu übertreiben oder in den Bereich des Kitsches abzugleiten. Da sich die Formgebung der Grundplatte am stilisierten Umriss eines Ginkoblattes orientiere, sollten diese Blätter in unterschiedlichen Ausführungen später auch in der Oberflächengestaltung des Sitzes zu finden sein. Mit Hilfe dieser Grundidee näherte sich Jimi dann mit Pergamentpapier über mehrere Bildentwürfe, die er im Schichtverfahren übereinander legte, behutsam den einzelnen, von ihm im weiteren Verlauf geplanten Darstellungsebenen der Sitzfläche an.
    Die Basis des Untergrundes wird vom Muster der Flagge der kaiserlich japanischen Marine von 1870 - 1945 gebildet, dessen Sonnensymbol mit Strahlen in leicht veränderter Darstellung auch heute noch von der japanischen Marine genutzt wird und damit gleichermaßen als Symbol für das alte traditionelle, sowie dem modernen Japan der Gegenwart verstanden werden kann.
    Der untere Teil der Sitzfläche wird von ineinander rankenden Ginkoblättern besetzt. Im oberen Bereich des Sitzes geht das Ganze dann in eine traditionelle Shikami Maske, dem Abbild eines Dämons der japanischen Mythologie über. Dem urjapanischen Aspekt, zu einem umfassenden Verständnis der Dinge den Blick immer auch nach Innen zu richten, wird durch einen bildlich dargestellten Riss in der Oberfläche genüge getan und führt den Blick des Betrachters unter die Oberfläche des Leders auf die ebenfalls symbolhafte Darstellung eines dort ineinander greifenden Räderwerks.
    Den fertigen Entwurf auf das fünf Millimeter starke Leder zu übertragen, war eine Arbeit, die Jimi leicht von der Hand ging. In dem Bemühen diesen Entwurf in der Folge dauerhaft in das Leder zu prägen, musste er jedoch alle Register seiner Kunst zu ziehen. Bei Punzieren der Sitzfläche wurde das zuvor gewässerte Leder von ihm so stark verdichtet, das es in einigen Bereichen in der Stärke um gut die Hälfte reduziert wurde und sich dabei extrem in alle Richtungen verzog, nur nicht in die, in die er es sich gewünscht hätte.
    So geriet die gesamte Herstellung des Sitzes zu einer Gradwanderung mit einem, bis zum Abschluss der Arbeit offenem Ausgang. Nachdem das Leder jedoch über die Sitzplatte gespannt, aufwendig vernäht und dem Thema entsprechend farblich behandelt worden war, waren alle Beteiligten davon überzeugt, dass der Mut zum Beschreiten neuer Wege und zu ausgefallenen Formgebungen von der Qualität des Ergebnisses mehr als reichlich honoriert wurde.
    Zum Abschluss sei noch erwähnt, dass Jimi seit der Zeit seiner ersten Recherchen im Internet und dem sich anschließenden Learning-by-doing experimentierfreudig geblieben ist. Da er sich neben seiner eigenen Arbeit immer schon für die Kunst des Tätowierens interessierte, war es nur eine Frage der Zeit bis er dem von ihm bearbeiteten Leder mit einer Tätowiermaschine auf die Haut rücken und mit den Möglichkeiten, die ihm eine solche Maschine bot, experimentieren würde. Um das, an dieser Stelle beschriebene Projekt für ihn Rund zu machen, suchte er also nach einem Namen für den Aufbau, um diesen in Form des japanischen Schriftzeichens in das Leder zu tätowieren.
    So kam das Kizuna Bike über den Sitz nicht nur zu seinem Namen, sondern erhielt darüber auch sein erstes und wohl auch einziges Tattoo.    

Text und Fotos: Gasolin Alley