Halbstark - die grosse Mofa-Show

Mit der Sonderausstellung „Halbstark“ haben die Macher der Custombike-Show voll ins Herz unzähliger Besucher getroffen. Die Halle entlang flanierend, hört der aufmerksame Besucher im Publikum viele „Aahs und Oohs“ oder Sätze wie „Die hatte ich auch!„ oder „Die konnte ich mir nicht leisten!„.

Halbstark ist ein Begriff aus den 50iger Jahren Deutschlands, der bis heute Verwendung findet. Umgangssprachlich abwertend, werden unter dem Ausdruck besonders aggressiv auftretende Jugendliche der Arbeitklasse zur Subkultur gruppiert. Zu dieser Gruppe gehörte ich als 1962 geborener Sohn eines Bergmanns auch (siehe dazu: Motorradleben).

Aus diesen halbstarken Formationen und den zugehörigen so genannten Halbstarkenkrawallen entwickelten sich nachfolgend Subkulturen wie Mods, Rocker und Punks. 1957 titelte ein Soziologe namens Schelsky: „in dieses aus publizistischen Gründen aufgeblasene Schlagwort ist von der Jugendkriminalität über die Jugendverwahrlosung, von Jugendstreichen und -flegeleien bis zu dem Konsumrowdytum gelegentlicher Alkoholexzesse, von den Jazzfans und Beboptänzern bis zu den Motorradrasereien und den Krawallen und Aufläufen so ziemlich alles hineingestopft worden, was den Erwachsenen als ‚Notstand‘ oder wenigstens als unerfreulich, wenn nicht nur unverständlich an der Jugend wieder einmal auffiel.“

Die Halbstarken waren demzufolge der Ausgangspunkt zur Befreiung der Arbeiterklasse vom selbstherrlichen Diktat des Staates, der Religion und der Spießbürgerlichkeit einer immer noch zutiefst vom Nationalsozialismus geprägten Nation. Neben halbstark etablierten sich Begriffe wie Hippie, Krawallbruder oder Bombenleger. Die Gesellschaft war damals wie heute nicht in der Lage zu differenzieren und die unterschiedlichen Absichten der Strömungen zu erkennen. Anders war eben für Deutsche immer auch bedrohlich, dabei haben gerade die Angepassten die Welt häufig ins Elend getrieben, von den Menschen ohne Ehrgeiz und Religion ist noch nie ein Krieg entfacht worden.

Diese Halbstarken waren natürlich auch motorisiert, und in den 3 Jahrzehnten nach 1950 war das Fahrzeug der männlichen Bevölkerung unter 18 Jahren zumeist ein Fahrzeug mit 50cc. Also auch wieder etwas Halbstarkes. Und wie auch in der Motorradszene haben gerade die unangepassteren Arbeiterkinder ihre Fahrzeuge zu Provokationszwecken optisch neu gestaltet. Ein paar dieser Fahrzeuge standen für 3 Tage in Bad Salzuflen auf der Custombike-Show, vom 06.12.2019 bis zum 08.12.2019. Wer es sich nicht leisten konnte oder keine Zeit hatte, dem bieten die folgenden Fotos Gelegenheit, die schöne Ausstellung auch zu erleben, leider ohne Benzingespräch und Benzingeruch.

Wir beginnen unseren kleinen Fotorundgang mit einem Simson SR2E Boardtracker. Warum? Er ist von 1962, ein wunderbarer Jahrgang. Clemens Will hat dies schöne Gerät gebaut. Vom Heizungsrohr bis zu Teilen von Möbelstücken, hier fand einiges neue Verwendung. Es folgt ein Simson Oldschool Racer von Tim Schwegel. Das 1957er DDR Fahrzeug wurde komplett pulverbeschichtet. Bei der roten Simson S51 zog von vorn bis hinten die Moderne ein. Christoph Kujath verbaute eine USD-Gabel von Aprilia, einen Scheinwerfer von Yamaha und einen völlig überzüchteten RZT-50-GP-Motor mit 16 PS und 13000 Umdrehungen. Bei den kommenden 3 Fahrzeugen geht es farbenfroher zu. Ein Puch Racer von August Seif macht den Anfang. Das Mitglied des bekannten „Kobra„ Clubs gönnt der 1980er 70cc und ein psychedelisches Scheibenrad, aber keinen Ständer. Die Kreidstler von Danny Schramm bringt es mit 6 PS auf stolze 85 km/h. Die Girdergabel stammt von niemand geringerem als dem Harley-Experten Uwe Ehinger. Speichenfelgen aus dem Hause TTS halten die 23-Zoll Reifen. Gleich mehrere Top Lackierer, namentlich Ingo Kruse, Marcus Pfeil, Marco Moschner und Maze sorgten für die edle Optik des High-End-Custommofas. Dritte im Fotobunde ist ein Garelli Caferacer. Marc Ternes geht es bei der Italienerin vom Neckermann-Versand vor allem um eine schicke Optik, ganz in italienischer Tradition. Kommen wir zum Klassiker der Zahnarzt-Söhne, der legendären Kreidler Flory 3-Gang. Traum der Halbstarken der 80er Jahre. Mit entsprechenden Ersatzteilen aus dem benachbarten Ausland, also da wo es auch die passenden Drogen gab, lief die Flory gern mal 100 km/h. Während das Teil von Norbert Edinger dem Original sehr entspricht, ist das Bling Bling mit Spardose wohl aus dem Nachlass eines jugendlichen Gold Wing Fahrers. Nein, Scherz bei Seite, es ist mit 23 PS nicht nur extremst getunt, hat eine Leichtkraftradzulassung und gehört einer Frau, Sabine Kompe. Da strahlen die vielen Glittereffekte gleich in anderem Licht. Die Galerie hat auch seltene Raritäten zu bieten. Die Italjet Cobra von 1967 mit 5,3 PS ist wohl kaum irgendwo anders zu bestaunen. Der 5,3 PS Sachsmotor wurde mit einer Simplex-Trommelbremse mit stolzen vier Bremsbacken wieder zu stehen gebracht. Die Kreidler Florett RS-R von Detlef Kompe hingegen ist vor allem im Ruhrpott ein häufiger gesehenes Modell, allerdings nicht so bunt. Zum Ausrasten kommt auch die Simson „Amok“ daher. Bastian Groba baute diesen bösen Bobber auf Basis einer S50.  Gut das die 50cc Varianten zulassungsfrei sind, denn hier wurde kaum eine Schraube original gelassen. Ob AMF oder AME. Good Old American Style ist das Motto der folgenden zwei Kräder. In dem AME Easy Rider von Norbert Edinger werkelt ein 1,5PS Zündapp Motor. Deutschlands bekannteste Chopperschmiede (wer wird je die nackten Mädels auf den Choppern bei Messeauftritten vergessen) lieferte tatsächlich alle Teile zum Bau eines Mofachoppers. Es gibt dieses Fahrzeug aber nur ein einziges Mal, also Augen auf.
Bei den Legenden angekommen, dürfen die Protagonisten des Films „25 km/h“ nicht fehlen. Ich war besonders aufgeregt beim Anblick des Mofas mit Rahmentank, denn so ein Vehikel hatte ich auch. Über 1 Millionen Zuschauer sahen die Zündapp ZD 25 und die Puch Maxi S in dem Roadmovie mit Bjarne Mädel und Lars Edinger über die Leinwand knattern. Und genau wie der Regisseur des Films, Markus Goller, hatte ich auch so eine Langbank, um Mädchen hintenauf zu transportieren (siehe Buch). Und der Herr Goller ist nochmal 7 Jahre jünger als ich, die guten Ideen haben also Bestand. Weiter geht die Reise zu zwei bekannten Oldtimermarken, Heinkel und NSU. Die Heinkel Perle war bereits zu ihrer Zeit, 1957, legendär. Liegend erreichte ein junger und leichter Spund auf diesem Zweirad bei 1,5 PS dennoch 60 km/h. Karl Neumüller gehört diese Perle, die einst für 620 Mark den Besitzer wechselte. Die NSU Quickly von dem bekannten „Save the Choppers“ Autor Horst Heiler hat den gleichen Bananensitz wie mein Mofa früher. Will der Mann vielleicht doch noch mal eine Schönheit hintendrauf mitnehmen? Die NSU Quickly von Tim Schwengel ist auf jeden Fall straßentauglich und soll vor allem Laune machen. Mein Freund Nico hat sich zwecks Größenvergleich mal mit seinen 185cm hinter der Simson „Pocket“ Schwalbe platziert, der ordentlich die Flügel gestutzt wurden. Martin Müller benötigte 700 Stunden seines Lebens, das macht 88 Arbeitstage, um aus einem halbstarken Vogel wie der Schwalbe einen viertelstarken Spatz zu machen. Der Antrieb ist von einer Simson Spatz. Die 16-Zoll-Räder sind Einzelanfertigungen und mit Kinderrennradreifen bestückt. Besonders erwähnenswert ist noch der Umbau auf Handschaltung.
Schlagzeuger und Schlagzeuglehrer Rudi Hagenau aus Rodgau ist bekennender Motorradfan. Dass er sich dem Halbstark Thema gewidmet hat, liegt vor allem daran, das der Erwerb einer Indian zu teuer und die aktuellen Zulassungsbestimmungen zu große Hürden beim Umbau von Fahrzeugen geworden sind. So musste eine Hercules Optima herhalten, Rudis Freude an einer Indian Chief auf die Räder zu stellen. Aus Schutzblechen wurden regelrechte Klangkörper, die Abdeckung der Trommelbremse ist aus einem Schlagzeug-Becken gefertigt. Indian Fenderlight und Lederaccessoires unterstützen den gewünschten Look. Dem Besitzer der Flory weiter oben, Norbert Edinger, seines Zeichens Geschäftsführer bei moped-garage.net, gehört auch dieser verrückte Puch-Chopper, ein Charity-Projekt mit dem einleuchtenden Titel „Goldener Tank„. Der Erlös unterstützte das Kinderhilfswerk „Arche„. Der aufgesetzte Tank ist also kein Reservekanister, sondern eine abnehmbare Spendendose. Ansonsten runden viele Harley Teile das Bild ab. Während die blaue Pocket Schwalbe von weiter oben mit Simson Spatz Motor bestückt wurde, werkelt in dieser Simson Spatz ein Schwalbe Motor. Verrückte Welt. So erreichte der Besitzer Frank Meisolle ganz ohne Tuning stolze 3 PS. Die Geschichte der 3 Mofas, die zum Nordkap aufbrechen, darf hier natürlich auch nicht fehlen. Auf 3 Zündapp Bergsteiger M 50 starten Joachim, Lothar und Norbert am Hockenheimring und fahren die 3.500km durch Deutschland, Schweden, Finnland und Norwegen. Genau wie beim Doppeltankchopper geht es hier aber nicht ausschließlich um das schrullige Verhalten von angehenden Rentnern, sondern ist auch wieder eine Charity-Aktion der moped-garage.net. Diesmal werden Blindenschulen in Vietnam unterstützt. 200 Stunden geradeaus. Da wär ich nicht gern dabei. Weiter geht es wieder mit Triebwerken aus dem Hause Puch, einmal als Crossversion und natürlich die Legende mit Rahmentank, eine Puch Maxi N. Die grüne Schönheit mit langer Yamaha Gabel hat Ulf Musekamp aufgebaut. Üblicherweise widmet der Privatschrauber sich eher BMW Motorrädern, hat hier im Prinzip ein wenig Vergangenheit aufgearbeitet. Das 65cc Motorkit soll den entsprechenden Vorschub garantieren. Den Abschluss unserer kleinen Galerie zur Messeaustellung „Halbstark – die grosse Mofa-Show“ übernimmt eine Mobylette, die nicht mehr Halbstark sondern Doppelstark auftritt. Die Mobylette Double MBK 51 wurde von Motobécane mit 2x50cc ausgestattet und läuft je nach Übersetzung zwischen 80 – 120 km/h Spitzengeschwindigkeit. Eine Handsignatur des Rennfahrers Nico Rosberg erhöht den Wert dieses nach dem Design des Mercedes Rennwagens farblich gestalteten Zweitakt-Zweizylinder-Mopeds. Wer nun auf den Geschmack gekommen ist, kann weitere Mopeds in der Ausstellung des Mopedclubs Neumühl sichten. (zum Mopedclub Neumühl)