Last Round on Madeira Drive

Am 17. November 2019 verkündete Hagen Jödecke bei Facebook, dass er seine Firma Madeira Drive zum Frühjahr 2020 schließen wird. Seit über 10 Jahren baut der gelernte Kfz-Mechaniker in Düsseldorf Motorräder zu schönen und fahrbahren Custombikes um. Zudem versorgte er die Fahrer mit für die Szene unentbehrlichen Lifestyle Klamotten. Da liegt die Vermutung nahe, das Düsseldorf genau der richtige Ort ist, um solch ein Unterfangen erfolgreich durchzuführen. Warum hört er also auf? Die beste Antwort auf diese Frage lautet: Weil er es kann. Die Zeitzeichen der gesamten Custombike Szene stehen auf Sturm, im Wasserglas, denn die Szene ist nicht so bedeutend, wie sie sich sich selbst gern in einer Form egozentrischer Verblendung wahrnimmt. Hagen nutzt den Moment und verlässt das sinkende Schiff noch aufrecht gehend vor den Ratten. Er ist sich immer treu geblieben, bis heute.

Die Firma Madeira Drive kämpfte in den letzten Jahren mit allen Schwierigkeiten, die das Unterfangen Custombike zu bieten hat. Das größte Problem ist die Unlogik der Branche. Ein Custombike ist ein aufwendig umgestaltetes, vor Individualität strotzendes Motorrad, das zu keinem realistischen Preis gefertigt werden kann. Eigentlich also ein Fahrzeug, welches in alter Tradition vom zukünftigen Besitzer selbst gefertigt werden sollte. Die Masse der selbstverliebten Kunden aber hat gerade auf Grund der eigenen Unfähigkeit ein Custombike aufzubauen, wenig Vorstellungen davon was technisch möglich und preislich machbar ist. Ihnen gegenüber steht ein Unternehmer, der sich dieser Herausforderung stellt. Er versucht mit möglichst wenig Stangenware (Aftermarket) ein Fahrzeug technisch und optisch so zu fertigen, das dem Kunden die angestrebte Achtung der Szene und das Siegel des technischen Überwachungsvereins zu Teil werden lässt. Dieses Missverhältnis von Aufwand und Preis führt seit jeher zu Spannungen, die in erster Linie das Leben des Unternehmers erschweren, denn auch wenn die Kunden sich begründet oder unbegründet ärgern, ihr wirtschaftliches Leben hängt davon nicht ab. Aber das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen eine kleine Custombike-Schmiede oder die freie Motorradwerkstatt um die Ecke zu kämpfen haben. Dazu addieren sich die jährlich eingeführten Bestimmungsschwankungen, ein von mir erfundenes Wort um den Wahnsinn der EU in einem greifbaren, erklärenden Begriff zusammenzufassen. Selbstverwaltung der Überflüssigen könnte man es auch nennen. Ausführlich gehe ich darauf in meiner Autobiographie ein, für ausgemachte Leser. Diesen Bestimmungen können nur große Firmen angemessen folgen, freie Marktwirtschaft ist lediglich eine beschönigende Worthülse. Das Gleiche gilt für den Online-Handel. In der Größe liegt die Würze, fast alle Hersteller verbimmeln ihren China Schrott gleich selbst, sie haben festgestellt, dass damit noch mehr Geld zu verdienen ist. Nicht wenige Kunden schleppen günstig erworbene Produkte, vielleicht gleich sogar eigens in China bestellt, mit zur Werkstatt, der Idiot vor Ort soll nicht noch 1.35 Euro an der Zündkerze oder 5 Euro am Öl verdienen. Aber er soll den Dreck wegmachen. Mein Tipp an alle Händler, wer etwas mitbringt, muss das Alte mitnehmen, zum Beispiel Altöl, Filter und Lappen oder Reifen.

Hagen hat aber noch mit weiteren bekannten Problemen zu kämpfen. Im Hinterhofgebäude fiel die Heizung aus. Bisher besteht kein Plan, sie zu reparieren, denn der ganze Häuserblock wurde vor kurzem an einen 40-jährigen Investor von irgendwo verkauft. Ein Investor, kein Hausbesitzer oder Vermieter. Der Begriff ist Programm, der Mann investiert in Immobilien und hat kein Interesse daran ein Vermögen für neue Heizsysteme zu verklempnern. Und auch das kann man ihm nicht wirklich verübeln, denn für neue Heizungssysteme gelten ja, ihr ahnt es bereits, die neuen Bestimmungsschwankungen der EU. Zu allem Überfluß blieben Hagen noch ein paar Kunden Beträge im vierstelligen Bereich schuldig. Wegen all dem zusammengefasst stehen jetzt die letzten 3 Aufträge auf der Bühne. Eine Harley-Davidson Sportster, eine Yamaha XT 500 und ein seltenes Militärgespann aus der Schweiz, eine Condor. Diese Arbeiten werden ordnungsgemäß beendet, der Rest des Ladens verkauft. Die ersten Geier meldeten sich bereits und machten unseriöse Angebote. Hagen hat seine Kettensäge aber längst generalüberholt, denn bevor er Dinge an unwürdige Käufer verschenkt, hält er es ganz mit dem Satz von Katlewski aus dem Ruhrgebietsdrama „Jede Menge Kohle“ von Adolf Winkelmann: „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen.„

Bleibt nur Hagen alles Gute zu wünschen. Mann sieht sich, auf der Straße.
Frank Bick Fotos und Text 18.12.2019

Weiteres zum Madeira Drive:
Madeira Drive auf der Fischerstraße
Madeira Drive reloaded