Fahrbericht Benelli 752S

Frank Bick 10/2019
Seit 1911 gibt es die Garage Benelli, von sechs Brüdern in Italien gegründet. Der hart umkämpfte Motorradmarkt erschütterte auch dieses Familienunternehmen immer wieder, bis es 2005 vom chinesischen Zweirad- und Motorenhersteller Qianjiang übernommen wurde.

Benelli, die meisten Leser werden den Namen mit italienischer Sportlichkeit und Schönheit verbinden. Alle Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre geborenen Motorradfahrer werden bei dem großen Namen an den ersten Seriensechszylinder der Welt, die  Benelli 750 Sei erinnert. Im dereinst beliebten Motorrad Quartett von 1975, konnte so mit der Anzahl an Zylindern jedes beliebige andere Motorrad gestochen werden.

Auf aktuellen Motorradtreffen sind Benellis selten zu sehen, doch wenn, dann sorgen sie nach wie vor für einen großen Auftritt und erhalten entsprechende Aufmerksamkeit. Wer Motorräder in Deutschland an Mann oder Frau bringen möchte, braucht nicht nur ein großes Vertriebsnetz, sondern auch zuverlässige und kompetente Partner. Eine Schwäche nicht weniger italienischer Firmen ist die Gewissheit, dass nichts sicher ist, abgesehen von der ausgiebigen Mittagspause. So wundert es kaum, dass die chinesische Firma Qianjiang sich 2016 entschloss, den Vertrieb der Benellis in Deutschland und Österreich in die Hände der KSR Group zu geben. Die mit einigen bekannten Marken und 60.000 verkauften Fahrzeugen pro Jahr erfolgreich agierende GmbH verfügt über ideale Voraussetzungen, die Freundschaft zwischen den Deutschen und Benelli zu festigen.
Die Ähnlichkeit der Benelli 752S mit einer Yamaha MT07 ist sicher kein Zufall. Wenn nur ein kleiner Teil des Erfolgs den das Mittelklasse Motorrad aus dem Hause Yamaha feierte, auf die Benelli übergeht, werden die Händler sicher zufrieden sein. Aber kann die kleine Chinesin der ausgewogenen, agilen Japanerin das Wasser reichen? Rein optisch haben die italienischen Designer wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Während die Konkurrenz eher eckig und futuristisch daher gefahren kommt, steht die Benelli in moderner Eleganz mit klassischer Note auf der Straße. Durch den herabgesetzten Schmutzfänger inklusive Nummernschild und Blinker wirkt das spitze Heck filigran und aufgeräumt, sorgt für eine feine Linie. Der hochgezogene Endtopf gefällt genauso gut wie der schwarze Gitterrohrrahmen. Ein durchweg lackierter 14,5 Liter Tank wirkt in der Seitenansicht sportlich elegant, von obenauf breit und stolz. Harmonisch abgerundet fällt der Wasserkühler mit dem großen Lüfter erst auf den zweiten Blick störend ins Auge. Mit der üppigen, messingfarbenen 50er Marzocchi Upside Down Gabel wird der Betrachter aber gleich wieder versöhnt. In Kombination mit den breiten Doppelbremsscheiben vorn wird die sportliche Absicht unterstrichen, im Wechsel Gas zu geben und kraftvoll zu verzögern. Der LED Hauptscheinwerfer wurde rund und feminin gestaltet. Das LCD Cockpit ist im ausgeschalteten Zustand vollkommen unauffällig. Bei längerer Betrachtung fällt auf, dass auch bei einzelnen Komponenten wie Fußrasten, Tankdeckel, Spiegel usw. mit Liebe zum Design gearbeitet wurde. Da die Sachverhalte zur Optik nun geklärt sind, bleibt die alles entscheidende Frage, wie sich das Ding überhaupt fährt. Noch bevor ich den Startknopf tätigen konnte, wies mich Burkhard Tech von der Royal Enfield World Duisburg darauf hin, dass die Gasannahme etwas abrupt käme und dass die Motorbremse die gleiche Eigenschaft hätte, allerdings in die andere Richtung. Die Bedienelemente sind schnell erklärt, denn es gibt abgesehen von ABS keine elektronisch geregelten Fahrhilfen. Neben Blinker, Start- und Stoppschalter, Licht und Hupe gibt es einen roten Schalter für das Einschalten der Warnblinkanlage. Dann ist noch ein Druckschalter mit der Aufschrift Set zu sehen. Damit kann der Tageskilometerstand zurückgesetzt werden, oder die Uhr eingestellt. Das war es. Erfrischend. Der Bremshebel ist verstellbar, der Kupplungshebel leider nicht. Zündung an, die Einspritzung surrt, das bunte Cockpit lässt die gewohnten Parameter erscheinen, ein paar LED rechts und links der Display Fläche leuchten auf. Die Display Fläche springt unter Brücken und im Dunkeln auf einen Nachtmodus um, wie wir ihn bereits von Navigationsgeräten kennen. Ein paar Parameter werden ausgeblendet, die Farbkontraste erhöht. Der Tagmodus ist auch bei Sonne gut ablesbar, für meinen Geschmack ein wenig zu bunt. Die Drehzahlanzeige hätte ich mir größer und in Zahlen gewünscht. Der 77 PS Zweizylinder-Motor springt ohne Mühe an, dreht ein paar Takte lang höher als anschließend im Standgas. Ein raues Rollen von irgendwelchen Lagern ist zu hören. Die Gasannahme ist spontan, der Motor läuft etwas ruppig. Mir persönlich gefällt es, wenn ein Fahrzeug ein unverwechselbares Eigenleben entwickelt. Der Kupplungshebel lässt sich etwas bitten, vielleicht durch die Verlegung des Zuges, zumindest kommt es mir nicht sehr präzise vor. Der Widerstand des Hebels ist nicht durchweg gleichmäßig. Der Gang geht lautstark rein, was aber nicht für alle folgenden Gänge rauf wie runter gilt, die sich gut schalten lassen. Die Anfahrt kommt etwas überraschend. Man darf an Gas nicht sparen, ansonsten wird der Motor abgewürgt. Ähnlich übrigens wie bei den ersten Yamaha MT-09 Modellen. Eventuell könnte ein verbessertes Mapping auch hier erfolgreich sein. Die weitere Leistungsentfaltung hingegen kommt stetig, druckvoll aber nie hektisch über den gesamten Drehzahlbereich. Man kann die Gänge ausdrehen oder bei 5.000 Umdrehungen schalten. Es steht bei jeder Gasgriffdrehung beständig ein mehr an Leistung an, auch bei 7.000 U/min im letzten Gang. Ähnlich wie bei der MT-07 leistet der Motor 67 Nm bei 6500 U/min. Ist man unter 4.000 Umdrehungen im mittleren Gang unterwegs, entfaltet die Motorbremse eine der Bezeichnung Ehre machende Entschleunigung. Gas weg bremst. Apropos Bremsen. Die Brembo Doppelscheiben-Vorderradbremse verzögert hervorragend. Die Hinterradbremse ist weniger zupackend, aber dennoch bei beherztem Fußdruck wirkungsvoll bis zum ruckartigen Auslösen des Antiblockiersystems. Im Zusammenspiel sind Gasannahme, Schaltfreudigkeit und beide Bremsen sehr geeignet für sportliche Fahrmanöver aller Art. Dabei ist die Sitzhaltung für mich 180cm Fahrer bequem. Im Gegensatz zur Yamaha MT-07 Sitzbank, die den Fahrer gegen den Tank schiebt, ist hier eine entspannte leicht vornübergebeugte Haltung angesagt. Der Wendekreis des Fahrzeugs ist unerwartet groß, der Lenkanschlag greift schnell. Schieben lässt sich das etwa 230kg schwere Gefährt aber leicht, auch füßelnd bei sitzender Haltung. 6 folgende Fotos: Ralf Krüppel vom Fotostudio in Orsoy. https://de-de.facebook.com/rek.image.photography/ Das Fahrwerk ist straff und sportlich abgestimmt, die Gabel aus dem Hause Marzocchi leistet hervorragende Arbeit. Da die Möglichkeit zur Feinabstimmung besteht, kann es nur noch besser werden. Ich habe mangels Zeit und Handbuch auf Änderungen verzichtet. Das Zentralfederbein hinten erlaubt auch eine Verstellung der Federvorspannung. Bei mir stand es auf Stufe 2 etwa. Wellen und die landesweit üblichen Unebenheiten der Fahrbahn bleiben spürbar, werden aber auf ein für Sporttourer gut erträgliches Maß bedämpft. Dass alles ohne das man das Gefühl hätte, das Fahrzeug würde hoppeln oder sich aufschaukeln. Auch Kraftfahrer mit mehr als meinen sportlichen 72 kg dürften so noch gut mit dem Fahrwerk zurechtkommen. Wer zu zweit fahren will, sollte hinten eine schlanke, kleine Person transportieren, ansonsten wird es ungemütlich. 190 km/h beträgt die Höchstgeschwindigkeit laut Fahrzeugschein. Wer solche Geschwindigkeiten absolvieren möchte, benötigt einen Schutzengel. Und der wird gleich mitgeliefert, denn auf dem 180er Pirelli Angel ST ziert ein vertrauensschaffender Engel das Profil. Je nach Fahrweise ändert sich diese „Gravur„ mit dem Abrieb von 1000 Kilometern zum Dämon. Der ganze Dämon erscheint nur dann, wenn die Reifen bis zum äußeren Rand abgefahren werden. Das könnte spöttische Bemerkungen am Stammtisch nach sich ziehen, wenn es in den Flanken beim Engel bleibt. Bei der Fahrt auf den feuchten Straßen am Niederrhein vermittelte der Reifen ein komfortables, sicheres, spurstabiles Gefühl ohne Überraschungen an Rillen und Unebenheiten. Das Fahrzeug lenkt leicht ein, hat unter Vorschub aber einen Drang zum schnellen Geradeauslauf. Für sportliches Fahren muss ein wenig Kraft aufgewandt werden und der Fahrer sollte sein Handwerk verstehen. Überhaupt ist das ganze Fahrzeug auf vorausschauend sportliches, engagiertes und konzentriertes Fahrvergnügen aufgebaut. Hat man sich einmal mit den oben genannten Eigenarten vertraut gemacht und die Grenzen der Reifen ermittelt, steht der sportlichen Kurvenhatz in Berg und Tal nichts mehr entgegen. Am Treff oder Lieblingscafé angekommen, wird man dann noch durch die bewundernden Blicke der elektronisch unterstützten Konkurrenz belohnt. Und die sind einem gewiss, denn noch ist diese Benelli 752S eine selten gesehene Schönheit. Ich persönlich vermute, das wird nicht lange so bleiben. Und eins ist auch gewiß, das Motorrad will sportlich bewegt werden, die Reifen rund bis zu den Flanken abgefahren, denn wie singen schon die Metaller von Rammstein: "Gott weiss ich will kein Engel sein".
Wer nun neugierig geworden ist, sollte gleich bei der Royal Enfield World Duisburg nach einer Probefahrt fragen. Und gönnt Euch gleich stilecht einen Imbiß im Nudelgarten.

Der Vorführer erwartet Euch.
Zur Webseite der Royal Enfield World Duisburg: http://www.royal-enfield-world.de

PREIS 7599,- Euro
MOTORTYP: 2-Zylinder DOHC, flüssigkeitsgekühlt
HUBRAUM: 754 cm³ MAX. LEISTUNG: 56 kW @ 8500 U/min
LÄNGE / BREITE / HÖHE: 2130 mm / 820 mm / 1100 mm GEWICHT 228kg
TANKINHALT: 14,5 l KRAFTSTOFFVERBRAUCH: 5,0 l / 100km