BMW R 1200 RT Fernwehexpress - Ein Fahrbericht

Frank Bick
Wenn man der BMW R 1200 RT das erste Mal gegenübersteht und sich draufsetzt, fühlt man sich ein wenig überfordert. Dieses mächtige Motorrad mit den vielen Schaltern und Knöpfen erinnert den Altbiker an eine aufgedonnerte Goldwing der 80er Jahre oder eine Electra Glide, doch diesmal mit Hightech, ein überdimensionierter Luxustourer. Braucht ein gestandener Motorradfahrer oder gar eine Motorradfahrerin so etwas? Und wenn ja, wofür?

Als ich vom Hof des Händlers meines Vertrauens - dem Motorrad Zentrum Niederrhein in Xanten - fuhr, regnete es in Strömen. Mit dem Schalter Mode auf der rechten Seite am Lenker stellte ich auf RAIN Modus und erzielte damit das Ergebnis, dass die BMW nun behutsam zur Sache ging, es gab beim Gasgeben kein durchrutschen, der im Cockpit angezeigte beste Schaltmoment lag bei 2200 U/min. Das Radio lief leise vor sich hin, WDR4, wer ist damit bloß vorher gefahren? Ich stellte mit dem Knopf auf der rechten Seite die elektrisch verstellbare Frontscheibe höher und blieb beim zügigen Fahren von den Knien bis zur Schulter weitesgehend trocken. Dann erschrak ich fürchterlich. Plötzlich schrie mich jemand an. Es war die Verkehrsansage aus dem Radio, es stellte sich lauter, viel lauter. Ich brauchte ein paar Sekunden um das zu realisieren.

Die zur Saison 2014 stark überarbeitete RT läßt sich spielend leicht fahren, ist sehr wendig und handlich. So handlich das man bei 60 km/h so etwas wie ein leichtes Pendeln verspürt. Beim Gasgeben und höheren Geschwindigkeiten ist das nicht zu spüren. Der Reisedampfer wird erstmals vom mit Wasser gekühlten Zweizylinder-Boxer, der seine 125 PS (92 kW) und 125 Newtonmeter Drehmoment aus 1,2 Liter Hubraum schöpft angetrieben. Im Vergleich zur Reiseenduro R 1200 GS, in der das Triebwerk vor einem Jahr debütierte, ist mehr Schwungmasse vorhanden. Die RT werkelt daher in niedrigen Drehzahlen ruhiger, runder. Dafür lässt in höheren Drehzahlen die Spritzigkeit nach, zumal das Getriebe länger als das der GS übersetzt ist. Zum Touring-Konzept passt das alles hervorragend.

Susanne, 167 cm bei 57 Kilogramm hat sich auch gleich mal auf die 274 kg RT gesetzt und ist eine Runde gefahren. Ihr erster Ausruf war: "Mensch lässt die sich leicht fahren, sieht gar nicht so aus."

Wie neuerdings alle BMWs bollert die RT laut los wenn man sie anwirft. Für das was Mann und Frau eigentlich mit dem Fahrzeug machen kann und will ist das eher störend. Die BMW R 1200 RT ist ein Fernwehexpress. Man kommt Samstag morgens auf die Idee mal nach Brügge zu fahren?  Schnell die RT aus der Garage geholt und losgebraust. Überall da wo es erlaubt ist fährt man bequem 180 km/h, mit offenem Systemhelm oder direkt mit coolem Jethelm. Hinter der Scheibe kein Problem. Wo ist jetzt der Vorteil gegenüber einem Auto? Mal abgesehen vom Fahrspaß kann man im Stau in der Mitte durch, was ja in ganz Europa erlaubt ist, abgesehen von Deutschland, parkt am Ziel wo man möchte und kommt pünktlich zum Mittagessen in Brügge an. Das Ganze kostet zudem noch recht wenig Sprit mit etwa 4l - 6l, je nach Geschwindigkeit.

Die Freiheit des Motorradfahrens bleibt erhalten, dennoch bietet die RT in Vollaustattung fast den Komfort eines Autos. Zentralverriegelung, Audiosystem, iPod-Anschluss, Navigerät, Sitzheizung, Tempomat und vieles mehr ist im Angebot, so dass potentielle Käufer zum Grundpreis von 17 000 Euro noch ein paar Tausender andenken sollten. Einen Posten mit Priorität auf der Wunschliste stellt das semiaktive Fahrwerk „Dynamic ESA“ dar, das die RT in die Lage versetzt, sich auf Knopfdruck von der Sänfte in ein Brett zu verwandeln. Im Zusammenwirken mit der Telelever-Vorderradführung sorgt es für Bremsen wie auf Schienen, absolut kein Einknicken der Front ist spürbar.
Eine moderne Hilfe ist der Schaltassistent, der Schalten rauf wie runter ohne zu Kuppeln erlaubt. Könnte man den Preis für das Motorrad spürbar senken indem man darauf verzichtet, so würde ich dies als einziges Zubehör Detail sicher weglassen. Die Idee dahinter ist zwar gut, aber lediglich bei Beschleunigungsorgien sinnvoll oder wenn man ohne Gas zu geben auf eine Kurve zufährt und 2 Gänge runterschaltet, ansonsten muss man schon den richtigen Moment erwischen um die Schalterei ohne zu Kuppeln wirklich zu mögen. Für den Fall das man gerade mit der Linken sein Radio bedient und trotzdem Schalten will, könnte es auch noch hilfreich sein, aber so viele Vorgänge auf einmal beherrschen eh nur Frauen, denen ich dieses Motorrad daher ein weiteres Mal ans Herz legen möchte. Fast schon belustigt hat mich die Anfahrhilfe am Berg. Sie wird beim Anhalten durch einen kräftigen Zug am Handbremshebel aktiviert, so dass die Hinterradzange der ABS-Bremsanlage zupackt. Beim Losfahren öffnet sie sich von selbst. Ja liebe Entwickler von BMW, ihr habt ja recht, Eure Kunden werden immer älter und unerfahrener ...

Neben heizbaren Griffen gibt es eine Sitzheizung. Zwar hatte ich noch nie einen spürbar kalten Hintern, dennoch ist es vor allem bei Regenfahrten für einen 51 jährigen Abenteurer wie mich recht angenehm wenn die Wärme wohlig den Rücken raufkriecht. Und die Damen, die sich mit zunehmendem Alter gern mal das Bläschen verkühlen werden es auch danken, auf dem Fahrersitz genauso wie auf dem Rücksitz. Und das ist doch prima. Da ist man nicht nur schnell in Brügge angekommen, sondern hat abends auch noch Spaß an den ehelichen wie unehelichen Freuden. Das wird eine rundum gelungene Sightseeing Tour.

Wer es sich leisten kann, sollte sich diesen Reisedampfer gönnen. Er wird der Beziehung förderlich sein, denn schon aus der Freude am Fahren wird Mann der Frau vorschlagen doch mal wieder nach Brügge, Gent oder Amsterdam zu reisen (oder rasen!) und hier wird sie gern Platz nehmen, ganz im Gegenteil zu den vielen angesagten Bobbern, Choppern, Café Racern und anderen Konsequenzen der Midlife Crisis geplagten Weicheier.

Hätte ich solch eine BMW, würde ich sicher mein Freizeitverhalten wieder näher an das meiner viel spontaneren Jugend bringen, mehr kurze Reisen und Freunde besuchen, mit dem Auto im Stau zu stehen habe ich einfach keine Lust. Wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet so ein konservatives Motorrad verjüngen kann? Der Entwickler bei BMW, er bezeichnete sie als "sexyer" als je zuvor. Wie recht der Kerl hat.

Links in der Übersicht:
Motorrad Zentrum Niederrhein: http://www.motorrad-zentrum-niederrhein.de
Fotos u. Text Frank Bick: http://www.regiosurf.net