Die kunstvolle Umsetzung des minimalistischen Motorradbaus

 „Die gesamte Produktwelt hat sich auf ein unglaublich hohes Mittelmaß eingependelt. Wir haben ganz viele Dinge, die wunderbar anonym und irgendwie okay sind. Aber Dinge für die wir nichts empfinden, behandeln wir auch nicht gut! Außer um Nachhaltigkeit, wird es in Zukunft darum gehen, Produkte mit Persönlichkeit zu entwickeln. Dinge mit Charakter, mit denen wir uns identifizieren!“ Konstantin Grcic, Industriedesigner

 

Sätze wie diese lese ich seltsamerweise häufig in Zeitschriften, die in den Wartezimmern der Ärzte herumliegen. Ohne dass ich gezielt danach gesucht hätte, begegnen sie mir scheinbar per Zufall und halten meinen Geist für einen mehr oder weniger langen Zeitraum in Bewegung. Doch obwohl ich zu dem Schluss komme, dass ich die Inhalte solcher Aussagen unbedingt für die Entwicklung meines eigenen Weges nutzen sollte, habe ich sie doch beim Verlassen der Praxis meist schon wieder vergessen.

In diesem Fall hatte ich die Wahl zwischen Frau im Spiegel oder Schöner Wohnen. Ich entschied mich spontan für Schöner Wohnen und stieß in einem mit Konstantin Grcic geführten Interview zu dessen Möbeldesign auf diese Sätze und da in der Folge eine Akupunkturbehandlung anstand, in deren Verlauf ich einen längeren Zeitraum ruhen musste, war mir damit eine gewisse Zeit gegeben, um die Begegnung mit dem Kern dieser Sätze auf mich wirken zu lassen.

Die Wertigkeit der Dinge ist ein Thema das mich seit vielen Jahren beschäftigt und mich in der Vergangenheit immer wieder mit Menschen in Kontakt brachte, denen die Wertigkeit der Dinge in ihrem Leben ebenfalls von Bedeutung ist.

Im Zusammenhang mit den oben stehenden Sätzen und den folgenden Überlegungen kam mir  Franz List, seines Zeichens Zweiradmeister der alten Schule in den Sinn.

 

Nimmt man sich die Zeit, die Arbeit von Franz List von ihrem hintergründigen Wesen her zu betrachten, dann wird man schnell zu dem Schluss kommen, dass die Kernaussage des Zitates für ihn geradezu Programm zu sein scheint und doch ist hier Vorsicht geboten. In unserer schnelllebigen Zeit neigt man allzu leicht dazu in Schubladen zu denken und einen Mann wie ihn in einer dieser Schubladen abzulegen. Wer ihn verstehen will, sollte sich ihm von einer anderen Seite her nähern und das bedeutet Zeit zu investieren.

Seine Werkstatt OLD SCHOOL MOTORS befindet sich seit März 2011 in Dinslaken Hiesfeld am nordwestlichsten Rande des Ruhrgebiets und er selbst ist durchaus als Original zu bezeichnen. Da das Prädikat Original im kulturellen Schmelztiegel des Ruhrgebiets jedoch auf viele zur Anwendung gebracht werden kann, bedarf es einer kurzen Erklärung. Wenn ich davon spreche, dass man Zeit benötigt, um ihn zu verstehen, dann ist dies nicht ohne Absicht mit einer gewissen Doppeldeutigkeit zu verstehen.

Wenn er eine Nachricht für mich auf unseren Anrufbeantworter hinterlässt, dann bleibt deren Inhalt für meine Frau meist kryptisch. Wenn sie davon spricht, dass sich auf dem Band eine für sie unverständliche Nachricht befindet, dann kommen als Urheber nur zwei Männer in Frage, der eine ist mein Kumpel Eule, der aus Bottrop stammend, mit einem mehr als schwarzen Kohlenpottslang gesegnet ist. Der andere ist Franz. Geboren und aufgewachsen in Bayern, ist seine Sprache stark bayrisch gefärbt und gehört damit nicht zu den Sprachfacetten, die sich einem Menschen aus dem Ruhrgebiet auf Anhieb erschließen. Da ihm dies inzwischen bewusst ist, bemüht er sich von Zeit zu Zeit darum, besonders deutlich zu sprechen. Leider erreicht er damit oft das genaue Gegenteil. Diejenigen die ihn näher kennen, versuchen das Beste daraus zu machen und wer gelernt hat Zusammenhänge zu erkennen, dem erschließt sich der Inhalt des Gesagten aus seinem Handeln heraus. Doch genau dafür Bedarf es der Eingangs erwähnten Zeit, sonst wird das nix mit dem gegenseitigen Verstehen.

Wer mit dem Namen Old School Motors den sich geradezu zwingend aufdrängenden Gedanken an eine Harley Davidson Schmiede mit Schwerpunkt auf dem, zum gegenwärtigen Zeitpunkt extrem angesagten Old School Style verbindet, der wird beim Betreten seiner Werkstatt schnell eines besseren belehrt.

Er hat sich der Restauration alter Motorräder verschrieben und wenn er von Restauration spricht, dann meint er damit nicht die bloße Instandsetzung, sondern die Widerherstellung des Originalzustandes. Das unterschiedliche Verständnis für den Begriff Originalzustand, führt dabei nicht selten zu Missverständlichkeit zwischen ihm und einem möglichen Kunden. Wenn diese von einer Restauration sprechen, dann beschäftigen sich deren Vorstellungen häufig mit dem Wunsch eine in die Jahre gekommene Maschine, die man möglicherweise in jungen Jahren mit der Anschaffung des ersten Autos, ohne jede Substanz erhaltende vorbeugende Maßname lieblos in einen Schuppen oder Keller geschoben und seitdem nie wieder in Bewegung gesetzt hat, mit Hilfe einer möglichst kostengünstigen kosmetischen Verjüngungskur wieder auf die Räder zu bringen. Wenn Franz List von einer Restauration spricht, dann meint er neben dem, auf der optischen Ebene offensichtlichen Originalzustand, vor allem auch einen, im nicht sichtbaren Bereich wirkenden technischen Originalzustand.

In dem was er sagt und dem was er tut, wird einem Kunden mit einer entsprechenden Antenne für klare Zusammenhänge schnell deutlich, dass er es mit der Wahl und Bedeutung seiner Worte sehr genau nimmt. Er drückt sich mit einfachen Worten nicht nur erfrischend klar und präzise aus, sondern steht in der Folge auch zu dem was er sagt. Obwohl man ihm eine gewisse Leidenschaft gegenüber der Marke Honda nachsagt, wird von ihm ohne markenspezifische Vorbehalte alles in den Originalzustand zurückversetzt, dessen Herz von einem Zwei- oder Viertaktmotor in Gang gehalten wird und auf zwei Rädern rollt. Lediglich ein entsprechendes Alter sollte es besitzen und damit Charakter haben.

Von dem ganzen Hype der in der jüngeren Vergangenheit die Landschaft der Custom Szene überrollt und durchgerüttelt hat, war in seiner Werkstatt so gut wie nichts zu spüren. Ich weiß, dass er den zum Teil schrillen Aufbauten der japanischen jungen Wilden mit einem gewissen Interesse gegenüber steht. Doch auch wenn seine Werkstatt den Namen Old School Motors firmiert, finden Begriffe wie Chopper, Bobber, Old School oder gar Custom in seiner Sprachwahl kaum eine nennenswerte Berücksichtigung. Egal um welchen Stil es geht, Franz List spricht in der Regel von Aufbauten.

Diejenigen die seinem persönlichen Empfinden für Wertigkeit entsprechen, bezeichnet er als schöne Aufbauten, alle anderen bleiben schlicht Aufbauten.

Das nun ein durchaus als schön zu bezeichnender Aufbau fern jeder Restaurationsoriginalität auf einer der Hebebühnen seiner Werkstatt entstand, lag neben einer Reihe von Zufällen, vor allem an der puren Lust mal etwas komplett anderes zu machen und dabei gleichzeitig zu zeigen, wozu ein Zweiradmeister der alten Schule neben den Restaurationen, die zu seinem Tagesgeschäft gehören noch in der Lage ist, auch ohne auf irgendwelchen computergesteuerten zwei-, drei- oder noch mehr  achsialen Schneide, Brenn oder Fräs Schnickschnack zurückgreifen zu können.

Um dabei nicht in den Fluss des oben angesprochenen Hype´s zu geraten, war klar, das eine Maschine der Marke Harley-Davidson schon wegen ihres Massenkultes aus Prinzip nicht in Frage kam und auch die alten Modelle der inzwischen ebenfalls überaus angesagten Marke Triumph schieden Aufgrund ihres sich explosionsartig ausbreitenden Trendfaktors und der damit verbundenen rasend schnell ansteigenden Kostenspirale aus. Im Fluss der Überlegungen fielen ihm, im wahrsten Sinne des Wortes, im Zuge des Werkstattumzuges die Reste eines, vor Jahren abgebrochenen Restaurationsprojekt eines Kunden vor die Füße.

Das Ganze bestand aus einer Kiste, in der sich die völlig heruntergekommene Antriebseinheit einer 425 Touren AWO befand und einem, bis zur Unbrauchbarkeit verbastelten ´59 Rahmen des gleichen Models. Da dem Kunde bei der gemeinsamen Bestandsaufnahme der Teile damals klar wurde, das mit diesem Material bei bestem Willen kein Start in ein Erfolg versprechendes Restaurationsprojekt zu realisieren war, begrub dieser das gesamte Vorhaben und der vermeidliche Schrott wanderte in einen der hinteres Winkel, um dort in Vergessenheit zu geraten.

Als Franz List sich Anfang 2011 dazu entschließt, mit seiner Werkstatt von Duisburg in ein geräumigeres Domizil nach Dinslaken umzuziehen, werden auch die Fragmente der AWO wieder ans Tageslicht gespült und umgehend zum idealen Träger des geplanten Projekts ernannt.

Und wer als Chef niemanden hat, der einem Arbeitsaufgaben eines Projektes vorgibt, der stellt sich halt selber welche. Die erste Arbeitsauflage lautete, das ausschließlich Maschinen und Werkzeuge der eigenen Werkstatt zum Einsatz kommen sollten und der Arbeitschwerpunkt vor allem auf den Einsatz handwerklicher Fähigkeiten und dem dazu benötigten Zeitaufwand gelegt werden sollte.   Die  zweite Arbeitsauflage lautete, das mit Ausnahme der Umrüstung auf eine moderne 12 Volt Zündanlage und dem nicht zu umgehenden Zukauf der üblichen Verschleißteile, ausschließlich alte oder gebrauchte Teile verbaut werden sollten. Die dritte Arbeitsaufgabe lautete, dass die komplette Maschine bis zur letzten Schraube zerlegt werden musste, bevor es an den Neuaufbau ging. Die vierte Arbeitsaufgabe lautete, dass die Maschine am Ende bis auf die Antriebseinheit nicht mehr mit der ursprünglichen Touren AWO gemein haben und volle Alltagstauglichkeit besitzen musste. Und zu guter Letzt, sollten die Materialkosten mit Ausnahme der bereits vorhandenen Basis eine Maximalgrenze von 2500,-  € nicht überschreiten.

Das Zerlegen stellte im Rahmen dieser Arbeitsaufgaben die leichteste Übung dar, machte es doch keinen Unterschied zu den üblichen anfallenden Restaurationsarbeiten. Da die Teileversorgung für alte AWO Motoren über die EBAY Plattform und einschlägige Internetforen mehr als gesichert ist, stellte es kein Problem dar, sich zum Zuschlagspreisen von 81,50 und 101,- € mit zwei zusätzlichen Motoren zu versorgen. Aus drei Motoren in jeweils mittelmäßigem Zustand, entstand in der Folge ein Motor in einem ausgesprochen guten Zustand. Die überschüssigen Teile wurden über die entsprechenden Internetplattformen gleich wieder an den Mann gebracht, um mit dem Erlös die Kosten für die neue Zündanlage zu decken. Das vorhandene Getriebe, war bis auf ein paar Verschleißteile ebenso wie der Kardan okay und so konnte beides nach fachgerechter Sichtung und gründlichen Überarbeitung übernommen werden.

Die eigentliche Formgebung folgte im wesentlichen der Vorgabe der eingesetzten Teile und entstand aus einem fließenden und sich beständig verändernden Prozess des Versuch und Irrtum Prinzips.

Einige Teile, wie zum Beispiel der Tank eines alten 50 ccm Mopeds italienischer Herkunft, der für 30,- € im Rahmen der Vehikel in Utrecht den Besitzer wechselte, der handgearbeitete Ledersitz der für 80,- € auf der alljährlich am Ostersonntag in Opmeer veranstalteten Rogues Choppershow erworben wurde oder der Lenker der auf der Bottroper Kustom Kultur für schlappe 40,- € direkt vom Hersteller Arie van Schyndel übernommen wurde, standen mit ihrem Kauf als über jeden Zweifel erhabene, unbedingt zu verbauende Teile fest. Andere Teile, wie zum Beispiel der hintere Fender der während des Treffens der Choppertown Nation für 70,- € den Besitzer wechselte, erhielten den endgültigen Einsatzsegen erst nach längerer Überlegungsphase. Ein Schicksal, das jedoch alle verwendeten Teile teilten, bestand darin, das es kein einziges Teile ohne eine verändernde Bearbeitung an den Aufbau schaffte. So wurde der Tank vollständig von seinen Halterungen und dem Tankstutzen befeit. An seine Stelle trat ein Oil Einfüllstutzen des legendären Indian Larry und für den festen Sitz am Rahmen sorgt eine, aus Edelstahl angefertigte Bügelkonstruktion, die gleichzeitig das Abnehmen des Tanks durch das Lösen eines Lederriemens ermöglicht.

Bei den Rädern wurde auf eine bunte Teilemischung aus dem werkstatteigenen Restefundus zurückgegriffen, wobei bei den meisten Teilen inzwischen längst in Vergessenheit geraten war, woher die Teile ursprünglich stammten.

Das durch den Einsatz eines schmalen 21 Zoll Vorderrades verursachte Problem, eines sich an der Front stark nach oben reckenden Rahmens, wurde durch das kompromisslose „choppen“ der Gabelholme gelöst. Eine Entscheidung, die sich auf das gesamte optische Erscheinungsbild des Aufbaus auswirkte und in Verbindung mit dem 18 Zoll Hinterrad für einen ausgesprochen Coolen Auftritt sorgt. Die letzte große Arbeitsaufgabe wurde von der Wahl des Vergasers gestellt. Da allgemein bekannt ist, dass die AWO´s mit ihren alten originalen Vergasern eher weniger gut funzen, war von Anfang an klar, dass ein zuverlässiges Teil verbaut werden sollte. Mit einem Bauteil der gegenwärtigen Vergasergeneration würde man sich im Bereich der Zuverlässigkeit auf der sicheren Seite befinden, doch wirkten sich die modernen Bing´s, Delorto´s oder Keihin´s auf die Gesamtoptik extrem Negativ aus. So blieb nur der Griff zum klassischen Bing Vergaser der  alten 250 BMW´s der sieht nicht nur extrem gut aus, sondern wird darüber hinaus auch für seine Zuverlässigkeit geschätzt.

Der Rest war dann eigentlich nur noch Kosmetik. Die meisten der sonst noch benötigten Anbauteile wurden, der ersten Direktive entsprechend, mit Hilfe des Werkstatt eigenen Maschinenparks gefertigt, wobei im Bereich des zu verwendenden Materials bevorzug auf Messing zurückgegriffen wurde.

Text Peter Su Markus & Fotos Frank Bick