Ziele der Raumordnung und Regionalpolitik

 

Definitionen für Raumordnung und verwandte Begriffe

Allgemeiner Begriff der Planung (z.B. in Unternehmen):

"die in die Zukunft gerichtete Koordination von Einzelmaßnahmen und deren Integration in ein Gesamtkonzept". Als 'Raumplanung' bezeichnet man alle Maßnahmen der öffentlichen Hände (Staat, Gemeinden, Planungsverbände), "welche auf die Standortqualität im Raum wirken oder wirken sollen und welche die Verteilung von Standortqualitäten regeln."

Nach J. Vogt: Raumstruktur und Raumplanung. Stuttgart: Klett 1997, S. 11.

 

Definitionen "Raumordnung":

"... das Bemühen um eine den menschlichen Bedürfnissen entsprechende Ordnung des räumlichen Zusammenlebens auf der Ebene" von Regionen und Ländern.

Nach: G. Albers: Stadtplanung. Darmstadt 1988, S. 4.

"... die gesamte Tätigkeit des Staates, die räumlichen Bedingungen so zu verändern, daß ein leitbildgerechter räumlicher Zustand erreicht wird. Damit ist Raumordnung ein zielorientiertes Handeln und nicht etwa eine Zustandsbeschreibung."

V. Seifert: Regionalplanung. Braunschweig: Westermann 1986. S. 6.

 

Definition "Raumplanung":

"Raumplanung ist die zielbewußte, ordnende, zukunftgerichtete Einflußnahme in politische Verfahren, die sich im Raum und für den Lebensraum nachhaltig auswirken, unter Wahrung der Entscheidungsfreiheit zukünftiger Generationen."

M. Lendi und H. Elsasser: Raumplanung in der Schweiz. Zürich 1985. S. VI.

 

Definition "Raumordnungspolitik":

"Raumordnungspolitik besteht in der bewußten Handhabung geeigneter Instrumente durch den Staat oder dem Staat nahe stehender Institutionen, um eine zielbezogene Gestaltung, Entwicklung und Nutzung von Räumen oder Regionen zu erreichen."

U. Brösse: Raumordnungspolitik. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter 1982, S. 22.

Diese Definition ist besonders umfassend und zugleich präzise.

 

 Gemeinsame Merkmale der Definitionen:

- Raumordnung ist "politisches Handeln", genauer: "politisch-administratives Handeln" des Staates, der Gemeinden und parastaatlicher Organisationen (Planungsverbände, Runde Tische usw.),

- Raumordnung zielt auf die Gestaltung, Entwicklung und Nutzung von Räumen bzw. auf die räumliche Organisation der Gesellschaft; sie ist damit übergreifend bzw. integrierend zu den sektoralen Aspekten, z.B. der Bildung, des Verkehrs, der Wirtschaft usw.,

- Als politisch-administratives Handeln folgt Raumordnung nicht nur den objektiven Erkenntnissen der Wissenschaft, sondern auch den sich wandelnden Normen der Gesellschaft.

 

Anschauliche Erläuterung "Raumordnung":

"Raumordnung kümmert sich ... um den Ausbau von Siedlungen, um Standorte für Wirtschaft und Gewerbe, um Verkehrswege, um Wasserversorgung und Mülldeponien, um Schulen und Krankenhäuser, auch um die Erhaltung von Grün- und Freiflächen. Raumordnung schaut, daß die unterschiedlichen Ansprüche sinnvoll aufeinander bezogen sind, die Planungen koordiniert werden und 'raumverträgliche Lösungen' möglich sind. Die Raumordnung ist damit ein praktisches Stück Gesellschafts-, Wirtschafts- und Umweltpolitik in einem.

Die Raumordnung konzentriert sich in ihren Aufgaben auf drei Bereiche:

Damit folgt die Raumordnung einer der wichtigen Forderungen des Grundgesetzes 'nach Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus' (Art. 72 Abs. 2 Satz 3)."

Quelle: Bundesmin. f. Raumo., Bauwesen u. Städtebau: Raumordnung in Deutschland. Bonn 1996, S. 4.

 

 Folgende Begriffe werden häufig synonym verwendet:

Davon zu unterscheiden sind:

 

Das Ziel-Mittel-System der Raumordnung und Regionalpolitik

Im Unterschied zur Stadtplanung, die lange Zeit (bis ca. 1970er Jahre) unter dem Primat des technischen Städtebaus stand, hat die Raumordnung früh (vor allem durch den Einfluß der Wirtschaftspolitik) ein differenziertes und systematisches Planungsverständnis entwickelt.

Traditionelles Planungsverständnis (bis ca. 1950er Jahre):

(1) Bestandsaufnahme und -analyse, ggfs. mit externer Wissenschaft, z.B. Geographie

(2) Planaufstellung, technischer Planer

(3) Umsetzung der Planung Verwaltung

Zielorientiertes Planungsverständnis (ab ca. 1960er Jahre):

Def. Ziele: "Normative Elemente eines Entscheidungsprozesses". Jedes Handeln und damit auch jedes Planen und damit auch jedes raumplanerische Handeln ist zielorientiert.

Warum ist seit den 60er Jahren von "raumordnungspolitischen Zielen" bzw. "Zielsystemen" die Rede?

 

Typische Phasen eines zielorientierten linearen Planungsverlaufs:

 

Gebräuchlichste Form der Zielsystematisierung: Hierarchie ("Zielbaum")

Beispiel für landesplanerisches hierarchisches Zielsystem:

 

Durch solche Zielbäume lassen sich die leerformelartigen Oberziele (bzw. Grundsätze) schrittweise konkretisieren und operationalisieren. Je weiter man in der Zielhierarchie von den Oberzielen über die Unterziele zu den Zielindikatoren geht, um so konkreter lassen sich bestimmte Mittel zur Erreichung dieser Ziele bestimmen.

Diese Form der zielsystemorientierten und indikatorengestützten Raumordnungspolitik hat seit den 70er Jahren allerdings erheblich an Bedeutung eingebüßt. Einwände:

Folge: Tendenz zur prinzipiellen Ablehnung von Ziel-Mittel-Systemen, dann droht jedoch die Gefahr eines "prinzipienlosen Inkrementalismus" ("muddling through").

 

Regionale Disparitäten und das Ausgleichsziel

Von den drei Oberzielen "Disparitätenausgleich", "Wachstum" und "Nachhaltigkeit" stand während der Etablierung der Raumordnungspolitik in den 60er und 70er Jahren das Ausgleichsziel eindeutig im Vordergrund. Hintergrund war die historische Erfahrung der Stadt-Land-Disparität im Industriezeitalter (wachsende Ballungsräume - von Abwanderung bedrohte ländliche Räume).

Durch die einseitige Betonung des Ausgleichsziel geriet die Raumordnungspolitik anfangs in einen Gegensatz zur Regionalpolitik, die traditionell auf die drei Oberziele "Wachstum", "Stabilität" und "Ausgleich" ausgerichtet ist.

In den 1970er Jahren versuchte man, mittels Indikatoren die interregionalen Disparitäten empirisch zu erfassen, zunächst nur für Analysezwecke, später auch mit dem Ziel, über die Bestimmung von sog. Output-Indikatoren die zu erreichenden Ziele der Raumordnungspolitik zu operationalisieren.

Diese Form der indikatorengestützten, ausgleichsorientierten Raumordnungspolitik geriet in den 1980er Jahren in den politischen Windschatten, und zwar aus mehreren Gründen:

Folge: Die Raumordnungspolitik geriet zwischen die Stühle der Wirtschaftspolitik einerseits und der Umweltpolitik andererseits.

 

In den 1990er Jahren zeichnen sich jedoch neue Tendenzen ab:

 

Beispiel für eine mögliche Operationalisierung des Oberziels "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen"

Erste Ebene Zweite Ebene Dritte Ebene Indikatoren

Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen

Hinreichende Erwerbsmöglichkeiten

Hinreichendes Arbeitsplatzangebot

Arbeitslosenquote
Zahl der offenen Stellen pro 1000 Erwerbspersonen
weitere

Hinreichende Möglichkeiten der Einkommenserzielung

Durchschnittliches Einkommen der Beschäftigten
Lohnsumme der Arbeitnehmer
weitere

Hinreichende Versorgung

öffentliche Einrichtungen

Kindergärten
Schulen
weitere

private Einrichtungen

Einzelhandel in zumutbarer Nähe
weitere

Infrastrukturunternehmen

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Hinreichende Wohnbedingungen

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Hinreichende Umweltbedingungen

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Probleme:

- Verfügbarkeit von Daten, Zuverlässigkeit der Indikatorenmessungen?

- Validität (Gültigkeit) der Indikatoren? Bilden sie die Sachverhalte umfassend und verzerrungsfrei ab?

- Indikatorensysteme sind nicht konsistent ableitbar.

- Welche räumliche Bezugsbasis ist angemessen? Zumutbare Entfernung sollte die räumliche Bezugsbasis bestimmen (Beispiel Kindergärten: kleinräumig, Universitäten: großräumig).

 

Regionale Entwicklungstheorien und das Entwicklungsziel

Dieses Ziel wurde bisher üblicherweise als ökonomisches Wachstumsziel aufgefaßt und dementsprechend formuliert als Maximierung des Bruttosozialprodukts (heute meist üblich: Bruttoinlandsprodukt) durch eine optimale räumliche Allokation der Produktionsfaktoren. Dieses Ziel kann entweder auf einen größeren Gesamtraum (Territorium einer Volkswirtschaft) oder im Falle der regionalen Wirtschaftspolitik auf alle oder einige Teilräume bezogen werden.

Traditionelle Ansätze:

a) neoklassische Theorie (z.B. Robert Solow): Theorem der interregionalen Konvergenz

b) Polarisationstheorie (Myrdal-Kaldor): Theorem der interregionalen Divergenz

Dominante Lehre: traditionelle neoklassische regionale Wachstumstheorie:

Sie faßt wirtschaftliches Wachstum primär als exogen verursacht auf (Mobilität von Produktionsfaktoren, Exportbasis-Theorie). Dementsprechend sollte die Regionalpolitik versuchen, die mobilen Produktionsfaktoren (insb. Kapital, aber auch Arbeit) in solche Regionen zu lenken, die die höchsten Grenzproduktivitäten aufweisen. Damit kann die höchste Produktionssteigerung sowohl für die betreffenden Einzelregionen als auch für die Gesamtwirtschaft erzielt werden.

 

"Neue Wachstumstheorie":

Explizit in die Theorie einbezogen werden: "Endogenisierung" des technischen Fortschritts, temporäre Monopolstellungen von Unternehmen und Regionen (d.h. Marktunvollkommenheiten), Bedeutung der externen Effekte. Dadurch können in bestimmten Regionen bestimmte Produktionsfaktoren akkumuliert werden (Kapital, Humankapital). Die Erträge dieser Faktoren müssen nicht (wie Solow annimmt) abnehmen, sondern können mittel- bis längerfristig hoch bleiben aufgrund von Monopolstellungen. Modelltheoretischer Unterschied zu Solow: Aufgabe des Theorems der abnehmenden Grenzproduktivitäten. Dadurch wird es modelltheoretisch möglich, daß Produktionsfaktoren immer weiter akkumulieren und ein polarisierendes Wachstum auslösen. Folge: divergierende Wachstumspfade von Regionen und Ländern.

Bewertung: Einerseits strengere Formalisierung im Vergleich zur älteren Polarisationstheorie, aber andererseits auch unbestimmte Folgen (sowohl Konvergenz wie Divergenz möglich). Wichtig ist jedoch die Pfadabhängigkeit der Entwicklungen. Das heißt: Entwicklungsunterschiede können langfristig zementiert sein. Die traditionelle neoklassische Konvergenz-Annahme wird zur "bedingten Konvergenz" abgeschwächt. Konvergenz entsteht durch Faktorwanderungen sowie (endogenen und exogenen) technischen Fortschritt. Solche Konvergenzen sind nur in Länder- und Regionengruppen mit ähnlichen ökonomischen und technologischen Bedingungen realistisch; sie werden deshalb gelegentlich zu "Konvergenzclubs" zusammengefaßt (z.B. EU-Länder).

 

"Neue Außenhandelstheorie":

Formaler Ansatz von Paul Krugman (Geography and trade): betrachtet explizit über die Einbeziehung der Faktorausstattung hinaus zwei Faktoren: Transportkosten und Skalenerträge. Damit neuer Ansatz gegenüber der traditionellen Außenhandelstheorie von Heckscher & Ohlin: Nicht nur Handel als Folge der komparativen Vorteile der Faktorausstattungen, sondern solche können überkompensiert werden durch räumliche Konzentration der Produktion aufgrund von Skalenerträgen. Andererseits wirken die Transportkosten tendenziell dezentralisierend.

Dieser Ansatz ist für die Regionalpolitik insofern bedeutsam, als Regionen heute immer weniger geschlossene Systeme sind, sondern zunehmend von der Weltwirtschaft abhängen (exogene Einflüsse).

Fazit für die regionalpolitische Theorie: ältere neoklassische Strategie, basierend auf der Exportbasis-Theorie ist weitgehend obsolet (obwohl immer noch prakktiziert). Neuere Konsequenzen:

1) Strategie der Mobilisierung der endogenen Entwicklungsfaktoren, und zwar nicht nur der klassischen Faktoren wie Kapital, Boden und Infrastruktur, sondern auch Humankapital (Bildung und Qualifizierung), Innovationstätigkeit, Gründungstätigkeit usw.

2) Strategie der Verbesserung der interregionalen (globalen) Wettbewerbsfähigkeit, und zwar nicht nur im traditionellen Sinn der Güterexporte (Exportbasistheorie), sondern auch der Standortattraktivierung für investives Kapital (FDIs); Konsequenz: Infrastruktur-, Institutionen- und Innovationswettbewerb, Regionsmarketing.

 

Argumente gegen eine Orientierung am Ziel der Produktionssteigerung:

- Steigerung der Produktion (gemessen in BSP oder BIP) führt noch nicht automatisch zu mehr Einkommen und Beschäftigung;

- einseitige Betonung des wirtschaftlichen Wachstums kollidiert mit anderen Zielen;

- das Wachstumsziel ist kein Selbstzweck, sondern sollte eher in ein komplexeres Entwicklungsziel integriert werden.

 

Regionale Nachhaltigkeit und das Erhaltungsziel

Dieser Grundsatz hat eine lange Tradition in der Raumplanung. Die Sicherung von Grünflächen war eines der Motive zur Gründung des ersten Regionalplanungsverbandes SVR im Jahre 1920. In der Nachkriegszeit wurde dieses Motiv nach und nach erweitert zum Grundsatz "Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen".

Seit Ende der 1980er Jahre neue Dynamik in der Debatte durch die neue Formel des "Sustainability" ("Nachhaltigkeit").

Stationen der Debatte:

Wie lassen sich Ökologie und urbane Lebensweise miteinander in Einklang bringen? Nachhaltigkeit wird auf vielen unterschiedlichen Ebenen akut:
- individuelle Einstellungen und Alltagshandeln,

- soziale Normen und Lebensformen (was ist "in"?),

- Raumstrukturen von Gemeinden, Städten und Regionen,

- Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur ganzer Gesellschaften.

 

Inwiefern sind unsere Regionen nicht "nachhaltig"?

 

Allgemeine Grundsätze der Nachhaltigkeit ("Sustainability") nach Enquête-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" 1994:

1) Nutzung erneuerbarer Ressourcen: Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen darf ihre Regenerationsrate nicht überschreiten. Diese Forderung entspricht dem Grundprinzip der Aufrechterhaltung der ökologischen Leistungsfähigkeit bzw. der Erhaltung des ökologischen Realkapitals.

2) Nutzung nicht-erneuerbarer Ressourcen: Nicht erneuerbare Ressourcen wie Energie, Material und Fläche sind sparsam und schonend zu nutzen. Es dürfen nur so viele nicht erneuerbare Ressourcen verbraucht werden, wie regenerierbare Substitute für den Zeitpunkt der späteren Erschöpfung geschaffen werden.

3) Effizienz der Ressourcennutzung: Die Produktivität des Ressourceneinsatzes ist durch technischen Fortschritt zu verbessern.

4) Beachtung der Aufnahmekapazität der Umwelt: Die Freisetzung von Schadstoffen darf nicht größer sein als die Aufnahmekapazität der Umweltmedien.

5) Beachtung der Zeitmaße: Das Zeitmaß anthropogener Einträge bzw. Eingriffe in die Umwelt muß im ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der für das Reaktionsvermögen der Umwelt relevanten natürlichen Prozesse stehen.

Nachhaltige Stadtpolitik umfaßt mehrere Felder der Raumordnungspolitik:

 

Realisierungsprobleme?

Typisches Phänomen: Alle Experten sind sich einig, im Einzelgespräch ist auch der einzelne Bürger rational zu überzeugen, aber nichts passiert außer Gutachten und Sonntagsreden.

Theoretische Analyse ergibt drei Antworten zur Erklärung dieses Dilemmas:

1) Verhaltens-Änderungen erfolgen nur wenig "über den Kopf";

2) sog. Allmende-Dilemma (Gesamtnutzen ist nicht Summe der Einzel-Nutzen; Widerspruch zwischen individueller Nutzenerwartung des Handelns und den gemeinschaftlichen Belangen);

3) fehlende politische Mehrheiten.