Geschichte der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung (insb. in Deutschland)
Allgemeine Literatur zur Geschichte der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung:
Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.) (1991): Zur geschichtlichen Entwicklung der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in der Bundesrepublik Deutschland. Hannover: ARL. 455 S. = Forsch.- u. Sitzungsber. 182.
Blotevogel, Hans Heinrich (1996): Zentrale Orte: Zur Karriere und Krise eines Konzepts in Geographie und Raumplanung. In: Erdkunde 50, S. 9-25.
Petz, Ursula von (1995): Raumplanung und 'Moderne'. Ansichten zur Geschichte einer Disziplin. In: Die alte Stadt 22, S. 349-363.
Rössler, Mechtild (1987): Die Institutionalisierung einer neuen "Wissenschaft" im Nationalsozialismus: Raumforschung und Raumordnung 1933-1945. In: GZ 75, S. 177-194.
Schmals, K. M. (Hg.) (1997): Vor 50 Jahren ... auch die Raumplanung hat eine Geschichte! Dortmund: IRPUD. 245 S. = Dortmunder Beitr. z. Raumpl. 80.
Stiens, Gerhard (1997): Der Begriff "regionale Disparitäten" im Wandel raumbezogener Planung und Politik. Mit einem Blick auf neue Trends in den Rahmenbedingungen. In: Inf. z. Raumentwickl. Jg. 1997, H. 1/2, S. 11-27.
Umlauf, Josef (1986): Zur Entwicklungsgeschichte der Landesplanung und Raumordnung. Hannover. = Veröff. d. ARL, Abhn. 90.
Wasser, Bruno (1993): Himmlers Raumplanung im Osten. Der Generalplan Ost in Polen 1940-1944. Berlin: Birkhäuser. 349 S. = Stadt, Planung, Geschichte 15.
Die ältere Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg
Historische Vorläufer ('implizite Raumplanung'):
- insb. Hochmittelalter, z.B. Ostkolonisation,
- frühe Neuzeit, z.B. Binnenkolonisation der Ödlanderschließung
Beginn der ('expliziten') Regionalplanung/Raumordnung:
erste Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts,
Auslöser: Umland-Wachstum der großen Städte (z.B. Berlin) und
Entstehung von Industrieagglomerationen (z.B. Ruhrgebiet)
Erste institutionelle Lösungen:
1911 Zweckverband Groß-Berlin (Aufgaben: Schienenbahnen, Straßenplanung, Fluchtlinienplanung),
1920 Bildung von Groß-Berlin,
1920 Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk
Zweck: Ergänzung der gemeindlichen Planungshoheit durch Planungen und Maßnahmen von
überörtlicher Bedeutung:
- Erhaltung von Grünflächen,
- Erarbeitung eines Generalsiedlungsplanes,
- Verkehrsplanung (öff. Regionalverkehr, Straßen),
- Koordination der kommunalen Bauleitplanung.
1920-33 entstanden zahlreiche weitere regionale Planungsgemeinschaften,
insb. in den Ballungsgebieten, z.B. Halle-Merseburg, West-Sachsen, Groß-Hamburg.
Fazit der Entstehung: Die Initiative zur überörtlichen Raumplanung ging von den
Städten und Regierungspräsidenten aus, also im wesentlichen 'von unten', nicht von der
Staatsregierung.
Raumordnung/Landesplanung wurden nicht als staatliche Aufgabe angesehen, sondern als interkommunale
Abstimmung und Koordinierung.
1935 "Reichsstelle für Raumordnung", damit Beginn der staatlichen Raumordnung in Deutschland. Im selben Jahr wurde eine Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung der deutschen Hochschulen mit regionalen Gliederungen gegründet. Sie gab ab 1936 die Zeitschrift "Raumforschung und Raumordnung" heraus.
Die "Reichs-Raumordnung" blieb allerdings mangels Kompetenzen ziemlich wirkungslos. Sie schuf jedoch die wesentlichen konzeptionellen und begrifflichen Grundlagen für die Raumordnung der Nachkriegszeit.
1940-44 Raumplanung der SS im besetzten Polen ('Generalplan Ost' für die 'Germanisierung' des 'Generalgouvernements').
Die Etablierung der Raumplanung in der Nachkriegszeit bis 1965
Einerseits: drängende Raumplanungsaufgaben des Wiederaufbaus sowie des Wohnungsbaus und des Infrastrukturaufbaus, desh.: Aufbaugesetze der Länder (de facto Planungsgesetze).
Andererseits: Skepsis gegen 'Raumplanung' (NS-Konnotation) und gegen staatliche Planung überhaupt.
Erstes Landesplanungsgesetz: in NRW 1950 (damit Etablierung der staatlichen Landesplanung; 'Zusammenarbeit mit den weiter bestehenden (kommunalen) Landesplanungsgemeinschaften').
Planungspraxis: Zeit der starken Persönlichkeiten, die (notfalls auch ohne ausgefeilte rechtliche Instrumente) schnell viel bewegen konnten, weil 1) der unmittelbare Handlungsdruck vorhanden war und weil 2) ein Grundkonsens in der Gesellschaft bestand, daß nach der Katastrophe von Krieg und Zusammenbruch das Land wieder aufgebaut werden mußte. Dringende Probleme der Raumordnung: Siedlungs- und Wohnungsbau, Wiederaufbau der Infrastruktur.
Entwicklung der Bundes-Raumordnung:
1955 Einsetzung des 'Sachverständigenausschusses für Raumordnung' (SARO),
1961 Vorlage des sog. SARO-Gutachtens mit Empfehlung zur Etablierung einer Bundes-Raumordnung mit begrenzter Kompetenz (wichtig für ROG)
1963ff. Raumordnungsberichte der Bundesregierung
Die Blütezeit der Raumordnung und Landesplanung 1965-1975
1965 Raumordnungsgesetz des Bundes (ROG), mehrfach novelliert, zuletzt 1997.
Grundlage: Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 75, Abs. 4, GG;
Bundesverfassungsgericht 1954, 1964: außerdem "ausschließliche Vollkompetenz kraft
Natur der Sache" für die Raumordnung.
1975 Bundesraumordnungsprogramm (BROP)
Nach langen Diskussionen von der MKRO als Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung der
allgemeinen Grundsätze und Ziele des ROG aufgestellt;
- Einigung nur auf einem kleinen gemeinsamen Nenner möglich, da erheblicher
Widerstand einiger Länder, insb. Bayerns,
- desh. weitgehend leerformelhafte Aussagen,
- Aufstellung erfolgte genau zum Ende des Planungszyklus,
- in der Praxis weitgehend wirkungslos.
1960-75, Höhepunkt 1965-72: "integrierte Entwicklungsplanung"
mit Systematisierung, hoher Komplexität, Verwissenschaftlichung, geringe Flexibilität,
geringe öffentliche Resonanz, bald Ernüchterung und Gegentrend zur Entfeinerung;
Konzept der 'geschlossenen Planung' = 'Entwicklungsplanung':
- flächendeckend (bezogen auf Stadt oder Region),
- komprehensiv, d.h. alle Politikbereiche und Akteure einbeziehend,
- langfristig angelegt,
- an einem einheitlichen Ziel bzw. Zielsystem orientiert.
Organisatorisch: Bestandsaufnahme - Ziele - mögliche Mittel - mögliche positive und negative Folgen - Ziel- und Mittelwahl - Durchführung - Erfolgskontrolle.
Die Planung zielt auf eine möglichst effiziente Verwirklichung eines als richtig erkannten Endzustandes (beste 'Raum-Ordnung' als Ziel); dabei ist prinzipiell gleichgültig, ob entgegenstehende Interessen vorhanden sind oder nicht und ob sie überwältigt werden müssen oder nicht.
Kritik: Dies ist die sog. Gott-Vater-Rationalität: ein allwissender Planer verfügt über umfassende Information und handelt für seine Untergebenen, indem er widerspruchsfreie Ziele verfolgt eine 'neue Welt schafft'.
Bedeutungsverlust und Krise (1975-1990)
Ab Mitte der 70er Jahre (1975 "Europ. Denkmalschutzjahr") Hinwendung zu kleinteiliger Planung (d.h. überwiegend kommunal) mit Bürgerbeteiligung und ökologischer Orientierung. Die überörtliche Raumplanung (Raumordnung, Landes- und Regionalplanung) war zwar institutionalisiert, geriet aber in eine mehrfache Krise:
- Der weitreichende Steuerungsanspruch der Raumplanung wurde sowohl im politischen
Raum als auch von den Fachplanungen abgelehnt.
- Die Raumplanung wurde politisch weitgehend bedeutungslos.
- Dies führte zu einer Krise des Selbstverständnisses der Raumplaner.
Ab 80er Jahre: "perspektivischer Inkrementalismus"
Merkmale: - nur allgemeine gesellschaftliche Zielvorgaben,
- Umsetzung in konkreten Projekten,
- Verzicht auf flächendeckende Betrachtung,
- Planung konzentriert sich auf das Wesentliche und das mittelfristig
Realisierbare;
- ökonomische Instrumente wichtiger als rechtliche.
In der Praxis allerdings eher: Konzept der 'offenen Planung' ('inkrementale Planung', Modell des 'Sich-Durchwurstelns').
Entscheidender Ansatz: Verzicht auf eine 'höhere (= technisch-wissenschaftliche Rationalität', sondern geht aus von der Existenz unterschiedlicher Akteure und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen. Rationalität bemißt sich am Konsens der Beteiligten, d.h. im Mittelpunkt steht die 'politische Rationalität'.
Beispiel: Internationale Bauausstellung Emscher Park. Die IBA mit dem Ansatz, über 'politische Koalitionen auf Zeit' anhand konkreter Projekte Innovationen zu erzeugen und alte Blockaden zu überwinden.
Gegenwart: Neue Herausforderungen durch deutsche Einigung und
europäische Integration
1990ff. Gewisse Renaissance der Raumordnung aufgrund folgender Faktoren:
- Übertragung des Raumordnungssystems der alten Länder auf die neuen;
- neuer Raumordnungsbedarf als Folge der deutschen Einigung (Brisanz des Oberziels der Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen!),
- Einarbeitung ökologischer Ziele mit partieller Zielharmonie; Übernahme des
Leitbildes der "nachhaltigen Raumentwicklung",
- Konvergenz von Raumordnung und Regionalpolitik zur "regionalen Entwicklungs-
politik",
- Europäische Integration und Globalisierung führen zu neuen Herausforderungen,
- Europäisierung der Regionalpolitik und Ansätze zu einer europäischen Raumordnungs-
politik unter aktiver Mitwirkung Deutschlands.
1993 "Raumordnungspolitischer Orientierungsrahmen"
1995 "Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen"
1997/99 "Europäisches Raumordnungskonzept" EUREK