Gedankentext 1 zum Zweiprozenter

Peter Su Markus

"In der Zunahme dessen was den denkenden Geist bewegt und der Körper nicht zu greifen vermag, entsteht mitunter die Sehnsucht nach einer den Körper und Geist umfassenden Begreifbarkeit der Dinge!"

Es liegt mir fern, im Zusammenhang einer möglichen Richtung unserer gesellschaftlichen Entwicklung von allgemein gültigen oder klar erkennbaren Strukturen zu sprechen. Um eine solche Aussage treffen zu können, verbindet mich in meiner Lebensführung zu wenig mit der Summe der für diese Entwicklung verantwortlich zeichnenden Strukturen.

Es sind vielmehr die kleinen, die eher als unbedeutend zu bezeichnenden Dinge des täglichen Lebens und des gesellschaftlichen Miteinanders die mich direkt umgeben, mir auffallen, mich beschäftigen und mich gedanklich nicht nur in Bewegung bringen sondern auch in Bewegung halten.

Da ich eher selten ein Telefon nutze, um mit den Menschen meines Interesses in einen kommunikativen Austausch zu treten und dementsprechend auch keine Notwendigkeit darin sehe ein Handy zu besitzen, reagiere ich überaus irritiert, wenn ein mir fremder Mensch in meiner direkten Umgebung plötzlich zu reden beginnt und in der Folge mit einem mir ebenfalls unbekannten Menschen auf eine so selbstverständliche Art und Weise intimste Inhalte austauscht, gerade so als würde er sich in einem, um ihn geschlossenen Raum befinden.

In Anbetracht des kurzen Zeitraums, in dem den Menschen die Möglichkeit der mobilen Kommunikation an nahezu jedem Ort und zu jeder Zeit zur Verfügung steht, überrascht mich die Selbstverständlichkeit mit der sich die Summe der Mitglieder der modernen Gesellschaft dieses Mediums bedient und auch der Stellenwert den dieses Medium im Leben dieser Menschen einnimmt scheint mir unangemessen.

Als ich im September 2013 auf den Spuren der alten Schule New York besuchte, stellte ich in der Subway fest, das etwa 80 % aller Fahrgäste über ein Kabel mit einem iPhone oder ähnlichem verbunden waren. Sie telefonierten, surften im Internet, hörten Musik, sahen sich ein Video an oder spielten Spiele. Bei verbleibenden 20 % handelte es sich entweder um Alte, Mitglieder der dritten Welt, orthodoxe Juden, Menschen, deren unsteter Blick mich vermuten ließ, das mit ihnen etwas nicht in Ordnung schien oder solchen wie mich, mit dem wohl ebenfalls etwas nicht in Ordnung zu sein schien.

Die Zahl derjenigen, die wie ich das Geschehen in ihrem direkten Umfeld mit offenen und wachen Augen betrachteten, war an den Fingern einer Hand zu benennen. Stellte einer der Verkabelten fest, dass es in seiner Umgebung jemanden mit wachen Augen gab, entstand sofort eine Atmosphäre des Unwohlseins, so als läge etwas Falsch darin das sich zwei Menschen mit den Augen begegneten.  

Was hat nun diese Einführung mit der Idee des Zweiprozenters zu tun. Nun, ich stelle fest, dass sich für mein Empfinden ungewöhnlich viele Menschen mehr oder weniger aktiv/bewusst in eine mehr oder weniger starke Abhängigkeit von Gerätschaften begeben, die auf einer Technik basieren, deren funktioneller Aufbau der Summe aller Nutzer meiner Vermutung nach  unverständlich sein wird.

Das von mir gewählte Beispiel des Handys steht hier nur als Symbol für all die anderen Hochtechnologien, deren Aufbau und Wirkungsweise wohl nur noch von den wenigsten verstanden wird und denen sich doch immer mehr Menschen wie selbstverständlich bedienen.

Verweigert ein solches Gerät dem Nutzer seinen Dienst, gehen dabei in zunehmendem Maße Inhalte verloren, die für viele Menschen von zunehmend großer Bedeutung sind und dementsprechend von einem massiven Verlustgefühl und den damit verbundenen Ängsten begleitet werden.

Im Rahmen dieser Entwicklung stelle ich in einer Art Gegenströmung eine zunehmende Rückbesinnung auf Dinge fest, die von ihrer Technik her einfach und vor allem leicht nachvollziehbar aufgebaut sind. In der Zweiradszene stellt das aktuelle Interesse für den Zweig der alten Schule einen für mich klaren Ausdruck dieser Rückbesinnung oder Sehnsucht dar.

Keine PS starken Hochleistungsaggregate, mit elektronisch gesteuerter Einspritzanlage, Chips und Steuergeräten, bei denen die Ursache der Summe aller Fehlermeldungen im Bereich der Elektronik zu suchen und zu finden ist und mit einer tatsächlich vorhandenen mechanisch begründeten Fehlerquelle in der Regel nichts zu tun hat.

Innerhalb der Idee der alten Schule werden alte Motoren, mit einem simplen Aufbau und damit nachvollziehbaren technischen Zusammenhängen bevorzugt. Motoren, die sich nicht auslesen lassen, sondern geöffnet werden müssen, will man einer Fehlerursache auf den Grund gehen. Motoren, die die Möglichkeit bieten ihren technischen Zustand bereits an Hand ihres Laufs, über das Blubbern, das  Rattern und den damit verbundenen Vibrationen zu erhören und zu erfühlen.      

Wer schon einmal in einem der modern ausgestatteten KFZ Diagnosezentren einem weiß bekittelten Mechatroniker gegenüber gestanden hat und mitgeteilt bekam das ein Motor, der läuft wie ein Sack Muscheln, laut elektronischer Diagnostik nicht den geringsten Fehler aufweist und man in diesem Falle ratlos sei, wird wissen was ich meine.

Unter denjenigen die sich weigern sich der Willkür dieser Mechatroniker zu ergeben und beginnen die Phase der eigenen Ratlosigkeit in diesem Bereich zu überwinden, scheint sich als mögliche Alternative der Wunsch nach alter, einfacher Technik zu regen. Dabei wünscht sich die größte Zahl der Suchenden zunächst wohl auch aus Gründen der Bequemlichkeit oder dem Schutz vor einer kaum nachzuvollziehenden Kostenexplosion einfach nur ein Fahrzeug das auf eine der ursprünglichen Arten repariert werden kann, die die Summe der gegenwärtigen Fahrzeugnutzer nur noch aus den Erzählungen der Alten kennen. Ein Fahrzeug, das mit Werkzeug zu reparieren ist, wie es früher zum Einsatz kam und nicht an einen Computer angeschlossen werden muss und als Ergebnis der Diagnose zahlreiche Störungen in der Elektronik anzeigt, die zwar alle kostspielig sind, mit dem eigentlichen Fehler jedoch nicht in Verbindung stehen.

In der Folge stellt man möglicherweise mit einem zunehmend unguten Gefühl fest, das man in immer mehr Fachwerkstätten rat- und vor allem tatlosen Fachleuten gegenübersteht, die sich eher lang anhaltend den Hintern kratzen, bevor sie sich die Hände an alter Technik schmutzig machen würden und kommt am Ende zu dem Schluss, das man, wenn man sicher wissen will, was und wie etwas gemacht wurde, man dieses am besten selber macht.

An diesem Punkt rückt nun der Zweiprozenter ins Bild der Wahrnehmung. Er drang mir zunächst in Form einiger schlichten Aufkleber ins Bewusstsein, die sich auf dem einen oder anderen, im Rahmen der Rogues Chopper Show 2013 präsentierten Aufbauten befanden. Da ich mit dem Hintergrund der Einprozenter Geschichte vertraut war, vermutete ich zunächst irgendetwas Rocker mäßiges hinter dem Zweiprozenter. Um meine Neugier zu befriedigen, quatschte ich schließlich einen der zahlreich anwesenden Rogues direkt auf die Aufkleber an und wurde von diesem mit einem wie ich finde interessanten Gedankengang vertraut gemacht.

In Anlehnung an den Ursprungsgedanken des Einprozenters (wer an dieser Stelle immer noch nicht weiß worüber ich hier schreibe, sollte kurz innehalten, sein iPhone zücken und den Einprozenter googeln), teilte er mir mit, das man über diese Aufkleber zum Ausdruck bringen wolle, das lediglich etwa zwei Prozent aller Motorradfahrer in einer ernst zu nehmenden Form an ihren Fahrzeugen schrauben, um ihnen darüber eine persönliche Seele zu verleihen.

Natürlich ließe sich nun wieder seitenlang über die genaue Definition des Ernsthaften lamentieren. An dieser Stelle geht es mir jedoch vielmehr darum den Kern dieses für mich  interessanten Gedankengangs zu betrachten, der es meiner Meinung nach Wert ist weiter getragen zu werden. Und zwar so, das er dazu anregt sich auf die Seite der Zweiprozenter zu stellen und durch die Kraft und die Energie seiner Ideen und das Wirken seiner Hände ein Teil der Bewegung in Richtung eines begreifbaren Verstehens zu werden.

Ich gehe nicht davon aus, das die von mir auf dieser Seite veröffentlichten Gedanken, die vielen nicht neu sein werden, einen Erdrutsch in Richtung eines intensiveren Austausches über das was im positiven Sinne geht, was möglich ist, was umsetzbar sein könnte oder von mir aus auch einfach nur cool ist, auslösen wird. Vermutlich wird sogar eher das Gegenteil der Fall sein und dem Gedanken des Zweiprozenters der immer währende Gegenwind einer zum negativen neigenden Skepsis in die ersten zaghaften Gehversuche blasen. Nichts desto trotz werde ich an dieser Stelle aktiv dazu Beitragen, den wie ich finde durchaus lebens- und kreativ auch lohnenswerten Gedanken der zwei Prozent aller Motorradschrauber, die ernsthaft und lustvoll an ihren Fahrzeugen schrauben, um ihnen darüber eine persönliche Seele zu verleihen, in die Köpfe der übrigen achtundneunzig Prozenter zu tragen.

Warum? Ganz einfach! Weil ich es kann und weil die Zeit dafür reif ist!