The real McCoy

Felix aus Bochum und seine Kawasaki LTD 440

Text und Bilder: Gasolin Alley Garage
Flanders Chopper Bash 2015, der Tag begrüßt die versammelte Custombike Gemeinde mit tristem Grau und anhaltendem Nieselregen. Die Stimmung ist entsprechend. Wer nicht im Zelt seinen Rausch vom  Vorabend ausschläft, drückt sich in der Hoffnung auf besseres Wetter mit einem Becher Kaffee oder dem ersten Bier in einer der knapp bemessenen überdachten Ecken herum. Im Clubhaus des Rattelsnakes MCs, der sein Gelände für diese Veranstaltung zur Verfügung stellt, treffe ich auf Johannes und Felix aus Deutschland. Grundsätzlich nichts außergewöhnliches, befindet sich doch eine große Zahl deutscher Biker unter den Besuchern des Treffens. Das Besondere an dieser Begegnung besteht darin, das sich die 440 Kawasaki von Felix ebenfalls im Clubhaus befindet.
Den über den Boden verteilten Werkzeugen, Kabeln, Reglern und Abdeckungen nach zu schließen, scheint es ein ernstes Problem mit dem Bike zu geben. Das sich die anwesende Bikerschaft mit ansonsten gerne gegebenen klugen Ratschlägen bedeckt hält, mag zum einen daran liegen, dass es ein Bike mit japanischen Wurzeln ist und es sich bei dem Problem zum anderen um etwas aus dem Bereich der Elektrik zu handeln scheint. In solchen Fällen hält sich der gemeine Harley Treiber eher bedeckt und außerdem hat der Präsident des Clubs bereits einen Blick auf die Baustelle geworfen und als Ergebnis seiner Problemanalyse selbstlos einen Kanister Benzin zum abfackeln angeboten.
Während Felix das im Raum stehende Angebot unkommentiert lässt, gibt sich Johannes pessimistisch und schlägt vor, sich zur Sicherheit unter den anwesenden deutschen Händlern schon mal nach einer Mitfahrgelegenheit in Richtung Deutschland umzuhören. Im Gegensatz zum Präsident, scheint der Vize des Clubs das Problem ernster zu nehmen und tatsächlich nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Doch als Felix die Sprache auf den nächsten Louis Shop oder zumindest einer Conrad Filiale bringt, kratzt auch der sich ratlos am Bart. Die Zeiger der Uhr bewegen sich zielstrebig auf Mittag zu und der Veranstaltungsort Axel liegt auch für holländische Verhältnisse am Arsch der Welt. "Einen Louis wirst du in dieser Gegend nicht finden und im Ort machen gleich die ersten Läden dicht!", lautet sein ernüchternder Kommentar.
Spätestens an diesem Punkt wäre der Spaß am Treffen für die meisten gelaufen und der eine oder andere hätte begonnen, mit klammen Fingern nach seiner goldenen ADAC Karte zu angeln. Felix ist als Kind des Ruhrpotts jedoch aus einem deutlich anderen Holz geschnitzt und die Zicken seiner Kawa beginnen ihn an seiner Ehre zu packen. Die Möglichkeit sie auf einem Hänger zurück nach Deutschland zu bringen, stellt für ihn keine überlegenswerte Option dar. Er ist auf eigenen Rädern gekommen und wenn es nach ihm geht, wird er das Land der Tulpensöhne auch wieder auf eigenen Rädern verlassen und das es hier nichts geben soll, mit dem sich sein Problem lösen lässt, das kann ja wohl nicht sein.
An dieser Stelle angelangt, beschäftige ich mich zu ersten Mal mit der Frage, ob es sich bei Felix um einen Schwachkopf handelt oder er die seltene Fähigkeit besitzt, eine aussichtslose und damit negativ scheinende Situation mit positiver Energie zu füllen und darüber ans Ziel zu gelangen. Da er offensichtlich einen Plan verfolgt, fällt meine Entscheidung in Richtung einer besonderen Fähigkeit und soll in der Folge nicht enttäuscht werden.
Kabel um Kabel wird ans schwache Licht des Clubhauses gezerrt und begutachtet, aus den hinteren Reihen wird schweigend ein Spannungsprüfer zu Felix durchgereicht und schnell festgestellt, dass er auf Grund eines Massefehlers seinen Spannungsregler gegrillt hat. Die Tatsache, dass sich ein Ersatz für ein solches, nicht nur an diesem Ort seltenes Teil, sicher nicht besorgen lassen wird, vermag Felix in seinem Glauben an sein Bike nicht zu erschüttern. Wer braucht schon einen Spannungsregler, wenn sich das Problem auch über ein, zwei volle Batterien lösen lässt und zumindest die, sollten sich doch wohl in jedem noch so kleinen Kaff auftreiben lassen.
Doch Felix wäre nicht Felix, wenn er sich nun umgehend auf die Suche nach einer Batterie begeben würde. Neben dem Spannungsregler hat es offensichtlich auch den Öldruckschalter erwischt und wenn er schon mal dabei ist, sprich alle Kabel offen vor ihm liegen, er einen Spannungsprüfer in der Hand hält und sich den Schaltplan seiner selbstgestrickten Verkabelung auf sein Handydisplay gezogen hat, scheint nichts dagegen zu sprechen, auch diesem Problem einen Teil seiner Aufmerksamkeit zu schenken.
Während im Clubhaus eifrig an den Verkabelung der Kawa gefrickelt wird, haben die Wolken die Zeit genutzt sich unauffällig zu verziehen. Die Sonne lacht, die Bands beginnen ihren Rock im wahrsten Sinne des Wortes unters Volk zu rotzen und so wird es für mich und die meisten anderen Zeit sich wieder dem "wahren Sinn des Lebens" zuzuwenden.
Johannes und Felix werden mir erst Stunden später wiederbegegnen. Hinter Johannes auf dessen Intruder thronend, reckt Felix triumphierend eine kleine Batterie in die Luft, die er einem Bootsbauer im Ort aus dem Kreuz leiern konnte. Darüber hinaus hat er dem guten Mann die Zusage abgerungen, ihm neben der neuen auch seine alte Batterie zu laden. Zwei Tage später erhalte ich über Facebook die Nachricht, dass er es mit Hilfe dieser beiden Batterien tatsächlich ohne Probleme zurück in den Ruhrpott geschafft hat.
Auf der Kustom Kulture Forever in Herten treffen wir uns wieder. Ihm und seiner Kawasaki scheint es ausgesprochen gut zu gehen. Er genießt die Veranstaltung und damit auch das Leben in vollen Zügen und zum ersten Mal wird mir klar was die Faszination ausmacht, die der junge Mann auf mich ausübt. Er erinnert mich an die längst vergessenen Träume und Erfahrungen eigener Jugendjahre. Eine Zeit in der noch der ungezügelte Drang nach Freiheit und Ungebundenheit die Richtung vorgab, die dann zu irgendeinem Zeitpunkt im Gleichschritt gesellschaftlichen Normendrucks unter die Räder kommen sollte.
Nun, was diesen Drang betrifft, scheint sich Felix den Kontakt zu diesem Gefühl erhalten zu haben. Dass er diesem Lebensgefühl auf zwei Rädern folgt, ist seiner mangelnden Kompromissbereitschaft bei gleichzeitig anhaltend klammer Finanzdecke geschuldet. War es zunächst geplant, dem Weg eines freien, ungebundenen Lebens mit vier Rädern unter dem Hintern zu folgen, musste er diesen, innerhalb seiner Kosten/Nutzen Rechnung kaum zu stemmenden Plan aufgeben und sein Augenmerk auf das wesentlich günstigere Zweirad verlegen. Dass dabei seine Jugendliebe gegenüber der zweirädrigen Fortbewegung neu entflammte, betrachtet er inzwischen als den Fingerzeig einer mehr als glücklichen Fügung.
Nachdem er sich also von der Idee eines überdachten Fahrzeugs verabschiedet hatte, begann er sich umgehend nach einer geeigneten Basis auf zwei Rädern umzusehen und stolperte dabei sehr früh über den Paralleltwin der LTD 440 von Kawasaki. Dass Bike, das bereits in den 80ger Jahren auf breiter Ebene mit einem verächtlichen Naserümpfen als Softchopper verlacht wurde und demensprechend auch heute noch als einer der elementarsten Kackstühle seiner Zeit betrachtet wird, weckte sein Interesse.
Er sah sich im Internet nach Bildern der LTD um, nahm sich die Zeit den Motor und vor allem den Rahmen in Ruhe zu betrachten und kam zu dem Schluss, dass der ungeliebten Kawasaki durchaus das Potenzial zum coolen Kurvenkratzer in die Wiege gelegt wurde. Wer sich heute zu den Anhängern des Bates Stils zählt und den Rahmen aus dem Blickwinkel dieses Stils betrachtet, wird zugeben müssen das man bei Kawasaki bereits in den 80ger Jahren der LTD genau den Rahmenknick verpasste, den sich heute so mancher Bates Stil Enthusiast für sein Bike wünschen würde.
Dieser Knick tritt allerdings erst dann ans Licht, wenn man das Bike von seinem barock anmutenden Sitzmöbel befreit und den Rahmen mit einigen Abstand auf sich wirken lässt. Das haben allerding bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur die wenigsten der frühen LTD Besitzer getan. Stattdessen wurden die meisten dieser Bikes über die Jahre schlicht achtlos in den hintersten Ecken irgendwelcher Schuppen vergessen oder schlimmer noch auf den Schrott befördert. Nun, den Schrauber der Gegenwart wird es freuen, denn inzwischen werden die Reste dieser Kawasakis auf den einschlägigen Internetplattformen für relativ kleines Geld zu Verkauf gestellt.
So konnte sich auch Felix eine ´81 LTD 440 im fahrbaren Zustand für schlanke 500,- Euro sichern und sollte sie ohne große Veränderungen zunächst einen Sommer lang fahren. Dann war der Motor am Ende und mit der anstehenden Motorüberholung sollte es auch für den Rest ans Umbauen gehen. Da Felix zwar den Mut zum Schrauben besitzt, sich im Zweiradbereich jedoch wenig auskannte, suchte er sich Unterstützung und Rückhalt in der Bochumer Schrauberszene. Durch einen glücklichen Zufall fand er beides in einer rund 10 köpfigen Schraubergemeinschaft, die sich ihre Schrauberbuden auf dem Gelände eines ehemaligen Schrottplatzes direkt neben den Gleisen der S Bahn errichtet hatten, um dort an allem zu schrauben, was sich in welcher Form auch immer mit Sprit in Bewegung bringen lässt.
Unter dem Einfluss dieser Gemeinschaft, ging der Griff beherzt zum Trennschleifer, um es der LTD in der Folge ordentlich zu besorgen. Neben dem Heckrahmen, sollten auch alle überflüssigen Halterungen dieser Aktion zum Opfer fallen. Der gesamte Verkleidungskrempel, mit dem die japanischen Ingenieure die Kawasaki in die Form eines Softchoppers gepresst hatten, wanderte auf den Müll. Was am Ende blieb, beschränkte sich auf das extrem geschoppte Gerüst des  Rahmens und einen neu aufgebauten Motor. Die Radikalität mit der Felix die Teile von Bike schnitt, brachte den großen Vorteil beim Neuaufbau einem 08/15 Bike eine ausgesprochen persönliche Note verleihen zu können.
Da sich Felix in seinem Tun bereits auf Grund der klammen Finanzdecke ausschließlich auf Low Budget beschränken musste, standen die teuren Teile namhafter Bolt On Produzenten zu keinem Zeitpunkt des Aufbaus auf seiner Liste. Wenn er billig sagt, dann hofft er darauf ein Teil für tatsächlich kleines Geld erstehen zu können oder besser noch, es umsonst zu bekommen. Und so hat er sich die meisten der Teile die er sich an sein Bike schraubte aus Haufen gezogen, die die Summe der Biker als Schrott bezeichnen würden. Das Wunder, das er dabei erlebt besteht für ihn darin, dass er inzwischen immer häufiger genau auf diesen Schrott angesprochen wird und man ihn fragt, über welchen Anbieter das eine oder andere coole Teil an seinem Bike zu beziehen sei. Der Ausdruck einer verkehrten Welt, den Felix mit einem schlichten Schulterzucken kommentiert.
Die Liste der Teile die er für sein Bike genutzt hat, ist lang und zieht sich wie ein bunter Faden durch zahlreiche Marken und Epochen der Motorradgeschichte. Der seltene Tank, der bereits einiges durchgemacht haben dürfte, bevor ihn Felix in die Finger bekam, versorgte ursprünglich eine 1933 Wanderer mit Treibstoff. Der Lenker stammt von einer Honda MTX 80. Den innenliegenden Gasgriff spendete eine frühe Honda Monkey und weil es mit diesem Griff so gut geklappt hat, wurde der Zug der Vorderradbremse mit einem zweiten Drehgriff dieser Art ebenfalls innenliegend auf die linke Lenkerseite verlegt. Dass das Bike dazu auf Fußkupplung und Handschaltung umgerüstet werden musste und Felix damit in Zukunft weder freie Hände noch Füße haben sollte, versteht sich dabei von selbst. Natürlich hat er sich alle zu diesem Umbau benötigten Teile sowie auch alle anderen Hebeleien, Gestänge und Abstandshalterungen in Eigenregie hergestellt und sich das dazu erforderliche Basismaterial, wie sollte es anders sein, aus irgendeinem Schrotthaufen gezogen. Die Qualität seiner Konstruktion konnte er dann direkt auf dem Weg zum Chopper Bash im Stopp und Go Modus des Antwerpeners Autobahnrings auf Herz und Nieren prüfen und für gut befinden.
Auspuff und Sissybar entstanden ebenfalls in Eigenregie. Die Lampe, eine original Electroline 54 die inzwischen als sündhaft teurer Nachbau im Zubehörhandel angeboten wird, konnte er sich für eine Hand voll Dollar als altes Originalteil über die amerikanische ebay Plattform sichern. Das Rücklicht entstand aus der Kombination einer Triumph Krümmerklemme und der Begrenzungsleuchte eines alten Trailers. Der hintere Fender leistete seinen Dienst ursprünglich an einer  Harley und wurde, wie sollte es anders sein, unter Einsatz der Trennscheibe auf das benötigte Maß gebracht, bevor er seinen Weg an die Kawasaki fand.
Zur Unterbringung der Elektrik wurden zwei alte Wasserkessel aus DDR Zeiten miteinander verbunden. Dem Motor, der ursprünglich über einen elektrischen Anlasser gestartet wurde, verpasste er neben einer optischen Aufhübschung das Kickergetriebe einer Kawasaki KZ 400, die über einen Motor ähnlicher Bauart verfügt, um ihn künftig mit einem kräftigen Tritt ins Leben zu befeuern.
Alles in allem kann Felix mehr als zufrieden auf die von ihm geleistete Arbeit blicken. Einzig im Bereich der Sitzbank sieht er noch Handlungsbedarf. Wie so oft, musste er diese unter Zeitdruck, quasi auf dem Weg zu einem Treffen mit der heißen Nadel stricken. Da muss also noch mal Hand angelegt werden und dann gibt es da ja auch noch die kleine Suzuki, die inmitten des "Schrotts" auf dem Gelände seiner Schrauberkumpel vor sich hindämmerte, bis ihm die Idee kam sie zu einem flotten Scrambler zu wandeln und er sie zu sich in den Schuppen zog, um sich mal etwas eingehender mit deren Formen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu beschäftigen.