Historische Stadtentwicklung

Altertum    Mittelalter    Frühe Neuzeit    Industriezeitalter    Nachkriegszeit

 

Altertum

Älteste Stadtkulturen entstanden nach bzw. im Zuge der sog. neolitischen Revolution (Übergang von der extensiven und großenteils nomadischen Jäger- und Sammler-Ökonomie zur Ackerbau- und Viehzucht-Ökonomie, nachgewiesen isnb. in Kleinasien und Mesopotamien:


1) Anatolien: Çatal Hüyük ab ca. 6000 v.Ch. (Ausgrabungen mit Zeugnissen einer Ackerbau-, Gewerbe- und Handels-Kultur; kulturelle Symbole zeugen von der Jäger- und Sammler-Tradition).

2) Uruk-Kultur seit ca. 3300 v. Chr.; Stadt Ur Blütezeit ca. 2500-1900 v.Chr., Babylon ab ca. 1800 v.Chr.

Gründe für Stadtentwicklung: Organisationsaufgaben der Bewässerungslandwirtschaft im Zweistromland; dadurch berufliche und ökonomische Arbeitsteilung; Aufzeichnungen der "Tempel-Landwirtschaft" führten zur Entwicklung der Schrift (Keilschrift).

Sumerische Stadtkultur: Stadtstaaten inmitten von Bewässerungsland

Städte: befestigt, Mitte: Burgbezirk des Stadtfürsten mit Tempelanlagen dicht bebaute Wohnviertel mit Sackgassen; Wohngebäude 1-2geschossig, nach außen abgeschlossen, mit offenem Innenhof.

Andere frühgeschichtliche Stadtkulturen in Ägypten, im Indus-Tiefland, in China.

Griechische Stadtkultur der Polis, Blütezeit ca. 800-338 v. Chr., insb. 510-400 v.Chr. Sparta (südl. Teil des Peleppones), Korinth, Athen

Ökonom. Grundlage: Landwirtschaft, Grundbesitz meist im Eigentum der Bürger, Bewirtschaftung erfolgte meist durch Sklaven. In Städten Handwerk im Besitz der Bürger und Metoiken (rechtlose Fremde als soziale Mittelgruppe).

Griech. Stadt: Ummauerter Stadtbezirk mit zwei Polen: Burg (Akropolis mit Tempeln) und Marktplatz (Agora)

Ausbreitung der griech. Polis: insb. nach Kleinasien (Milet, Ephesos, Priene) dann auch nach Sizilien (Syrakus, Agrigent), Unteritalien (Tarent, Kroton, Reggio).

Unter Alexander Ausbreitung der hellenistischen Stadtkultur (um 300 v.Chr.) nach ganz Kleinasien (Pergamon), Palästina (Antiocheia), Mesopotamien, auch Alexandria

 Auf der Basis der griechischen Stadt entstand die Römerstadt (ca. 200 v.Chr. - 400 n.Chr.)

Charakteristisch: schachbrettartiger Grundriß gemäß dem Hippodamischen Schema
(geometr. Straßengrundriß von Hippodamus beim Wiederaufbau von Milet 450 v.Chr.)

Ausbreitung der Römerstadt von Italien nach Norditalien, Nordafrika (insb. Tunesien), Iberische Halbinsel, Gallien, S- und W-Deutschland, England.

Merkmale:

- Lage meist in der Ebene, meist an Heer- u. Handelsstraßen,

- Straßengrundriß meist rechtwinklig, teilw. quadratisch

- oft 2 Hauptstraßen: via pricipalis, gekreuzt von einer zweiten (Decumanus) dadurch entstehen "Viertel" ("Quartiere"). Bei größeren Städten werden die Blöcke zu "insulae" zusammengefaßt.

- Mittelpunkt: Forum (meist rechteckiger Marktplatz) mit öff. Gebäuden wie Gericht, Palast, Versammlungshallen, Zunfthäuser, insb. Tempel

- weitere typ. Gebäude oft im Stadtgebiet verstreut: Tempel, Amphitheater, Thermen.

Beispiele: Rom (zusammengesetzter, komplizierter Grundriß; 1.-3. Jh. ca. 100000 Ew.),
Pompeji (infolge Vesuvausbruch 79 n.Chr. als Ruinenstadt erhalten; gutes Beispiel)
Gründungsstädte mit sehr regelhaftem Grundriß in Norditalien z.B. Aosta, Como.

In Deutschland Römerstädte südl. und westl. des Limes, oft entstanden aus Militärlagern: Castra Regina (Regensburg), Augusta Vindelicorum (Augsburg), Argentorate (Straßburg), Mogontiacum (Mainz), Augusta Treverorum (Trier), Antunnacum (Andernach), Bonna (Bonn), Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln), Novaesium (Neuß), Asciburgium (Moers-Asberg), Colonia Ulpia Traiana (später Xanten).

Mit dem Zusammenbruch des Römerreichs und der Völkerwanderungen (4.-5. Jh.) schrumpften viele Städte oder fielen gar wüst. Siedlungskontinuität bis zur mittelalterlichen Verstädterung beruhte meist auf Bischofssitz (Burg), während die übrige Stadt großenteils verfiel (Bspe.: Köln, Mainz, Trier, Worms, Speyer, Straßburg, Augsburg, Konstanz, Basel). In anderen Fällen entstanden die mittelalterlichen Städte in der Nähe der römerzeitlichen Ruinenstädte, z.B. in Bonn, in Xanten (Märtyrergrab d. Hl. Victor, Kapelle, Stift, Stiftssiedlung).


Mittelalter

Vor- und Frühformen der mittelalterlichen Stadt (8.-9. Jh.)

In dieser Zeit bestanden in Mitteleuropa praktisch keine Städte, lediglich Siedlungen mit einzelnen städtischen Funktionen. Nur in wenigen Fällen Anknüpfungspunkte an das römerzeitliche Städtenetz; wichtiger sind neue Wurzeln, die zur späteren Verstädterung führen:

- Bischofsburgen (Domburgen), teils der römerzeitlichen Bischofssitze, teils der karolingischen Christianisierung; z.B. Hamburg, Bremen, Münster, Minden, Paderborn etc.,

- Klöster(burgen) z.B. in Hameln und Helmstedt,

- Königshöfe, insb. der Karolinger, und Pfalzen als militärische und wirtschaftliche Stützpunkte der Könige und Herzöge, z.B. Duisburg, Soest usw. am Hellweg,

- Kaufmannssiedlungen (Wik), zunächst als periodische Siedlungen, dann als ständige Siedlungen (z.B. Haithabu, Bardowiek, Dorestad), dann auch im Schutz von Burgsiedlungen entstanden, z.B. in Münster, Soest.

Mutterstädte (ca. 1000 - 1150)

Ab etwa 1000 entwickeln sich durch die Kombination der herrschaftlich-kirchlichen Wurzel mit der kaufmännisch-bürgerlichen Wurzel quasi "von selbst", d.h. ohne formel-len Gründungsakt, die ersten "Städte" im vollen mittelalterlichen Sinn. Ausgehend vom Maas-Schelde-Raum (Gent, Antwerpen) entwickelten sich "Mutterstädte" zunächst im Rheinland (Köln, Duisburg), dann auch an Weser (Bremen, Minden), Elbe (Hamburg), Main (Frankfurt, Nürnberg) und Donau (Ulm, Regensburg).

Entscheidender ökonomischer Faktor: Entfaltung des Marktwesens, d.h. Ergänzung der Subsistenzwirtschaft durch Fern- und Regionalhandel. Neben dem Adel wurden die Kaufleute die bestimmende soziale Schicht. Daneben entstand eine breite Handwerker-schaft, die für den Markt, d.h. auch für den überörtlichen Absatz, produzierte.

Dies führte insbes. im 12. Jh. zu einem starken Städtewachstum, z.B. Köln 1106 erweitert von 120 auf 236 ha, dann 1180 auf 400 ha!

Frühe Gründungsstädte (1120-1220)

Im Gegensatz zu den "gewachsenen" Städten entstanden ab 1120 Gründungsstädte, die meist durch einen geplanten Grundriß und einen formellen Gründungsakt des Landes-herrn gekennzeichnet sind. Sie sind am Vorbild der Mutterstädte orientiert und sind zugleich ein Instrument kaiserlicher und fürstlicher Machtpolitik.

Bedeutende frühe Gründungsstädte: Freiburg i.B. (1118/20 durch Zähringer), Leipzig (1150), Lübeck (1158), München (1158), Lippstadt (1170).

Grundriß: im Gegensatz zu der unregelmäßigen Struktur der Mutterstädte meist Planform,

z.B. Freiburg: Achsenkreuz von zwei Hauptstraßen, davon eine als Straßenmarkt,

z.B. Lübeck und Lippstadt: Rippenform, d.h. zwei parallele Kaufmannstraßen mit Marktplatz entweder zwischen den beiden Rippen oder an einer der beiden Hauptstraßen.

Mutterstädte und frühe Gründungsstädte bilden gemeinsam den Typ der mittelalter-lichen Stadt am klarsten heraus:

Merkmale:

- äußere Abgrenzung durch Mauer und oft Graben,

- kompakte Siedlungsform,

- Mittelpunkt: Markt mit Rathaus, Kaufmannshäusern und Bürgerkirche, oft in Oppo-sition zur landesherrlichen Burg mit Burgkirche bzw. Bischofsbezirk,

- soziale und räumliche Differenzierung der Stadtbevölkerung: Kaufleute am Markt, Tagelöhner und niedere Handwerker an der Stadtmauer, Mittelschicht, dazwischen; dem entspricht eine zentral-periphere Abstufung der Gebäude,

- rechtliche Sonderstellung: städtische Selbstverwaltung und eigene Gerichtsbarkeit, Bürgerrecht ("Stadtluft macht frei"),

- ökonomische Funktion: Handel (Fern- und Nahhandel) und Güterproduktion (insb. bei kleinen Städten aber oft auch Landwirtschaft, sog. "Ackerbürger").

Gründungsstädte des Hochmittelalters (1220-1320)

Diese Zeit wird durch ein allgemeines Wirtschafts- und Städtewachstum gekennzeich-net, aber auch durch die endgültige Herausbildung der Territorialherrschaften. Die Städtegründungen dieser Zeit führten prinzipiell die Entwicklung des vorangehenden Zeitabschnitts fort; doch da die besten Lagen vielfach schon "besetzt" waren, entstanden meist nur kleinere Städte, z.B. Dorsten, Dinslaken, Ratingen, aber auch Düsseldorf (1288).

Während bei den frühen Gründungsstädten zumeist macht- und wirtschaftspolitische Gründungsmotive nebeneinander stehen, rücken bei den späten Gründungen oft militärisch-machtpolitische Gründe in den Vordergrund. Im Zeitalter der sich ausbil-denden Flächenterritorien und häufigen Fehden dienen Städte dazu, die Territorial-ansprüche der Landesherrn - auch militärisch - zu sichern. Städte deshalb oft in Spornlage (mit landesherrlicher Burg).

In den großen Städten kommt es häufig zu Machtkämpfen zwischen dem Bürgertum (führende Schicht meist Kaufleute) und dem Landesherrn. Viele Städte bilden Städte-bünde (z.B. Hanse, Rheinischer Bund) und erreichen eine mehr oder weniger große Selbständigkeit gegenüber dem Landesherrn, teilw. sogar als Freie Reichsstädte: z.B. Köln, Aachen, Dortmund, Bremen, Goslar, Wetzlar, Frankfurt, Nürnberg, Rothenburg, Dinkelsbühl, Augsburg, Ulm, Eßlingen.

 

Gründungsstädte des Spätmittelalters (1320-1500)

Trotz allgemeiner wirtschaftlicher Stagnation gehen die landesherrlichen Städtegrün-dungen weiter; es entstehen allerdings meist nur noch Klein- und Kümmerformen, oft aus militär- und machtpolitischen Motiven, desh. oft in Sporn- und Grenzlagen.

Beispiele: Isselburg, Ruhrort, Zons. Meist nur ca. 5-10 ha, wenige 100 Ew.

 

"Minderstädte" (H. Stoob), oft "Freiheit" oder in Westfalen "Wigbold" genannt, sind Kümmerformen des Spätmittelalters. Als Städte minderen Rechts besitzen sie nur einen Teil der Merkmale des mittelalterlichen Stadttypus.

 

Städtesystem Mitteleuropas um 1500 als Ergebnis der mittelalterlichen Urbani-sierung: Führende Schicht: große Handels- und Gewerbestädte, dies sind meist Freie Reichsstädte: größte Stadt: Köln (ca. 40 000 Ew), weitere Städte über 10 000 Ew, also "Großstädte": Lübeck, Hamburg, Bremen, Magdeburg, Braunschweig, Münster, Soest, Aachen, Frankfurt, Nürnberg, Augsburg, Ulm, Straßburg. Oft sind dies die ältesten Städte (Bischofsburgen mit Kaufmannswik oder frühe Gründung)!

 

Phasen der Stadtentstehung nach H. Stoob 1956:

Häufigkeitsdiagramm verdeutlicht die Bedeutung der mittelalterlichen Urbanisierung:

Ca. 2/3 aller deutigen Städte entstanden zwischen 1150 und 1450! Maximum zwischen 1220 und 1350; allerdings waren die wenigen frühen Gründungen viel bedeutender.

Zwischen 1450 und 1800: "Städtetal" (H. Stoob). Nur wenige, aber interessante neue Städte entstanden in dieser Phase der Frühen Neuzeit. Erst im 19. und 20. Jh. wieder mehr neue Städte, aber längst nicht soviel wie im Mittelalter.

 

Frühe Neuzeit

Zeit des "Städtetals": In den 350 Jahren zwischen 1450 und 1800 wurden nur halb soviel Städte gegründet wie zwischen 1250 und 1300! Gründe: große Dichte des mittelalterlichen Städtenetzes, Stagnation durch Kriege, insb. 30jähr. Krieg.

Mit dem Übergang zur frühen Neuzeit zugleich Übergang von der mittelalterlichen Stadt zur Renaissance-Stadt (16.-17. Jh.) mit den Prinzipien:
- Gründung durch Landesherrn,
- geplante Anlage durch Stadt- bzw. Festungs-Baumeister im staatlichen Dienst,
- neue ästhetische Prinzipien durch italienische Renaissance (strenge Geometrien;
Einfluß von Ideal-Städten, z.B. Plan von Dürer).

Neben Ausläufern mittelalterlicher Stadttypen (insb. weiterhin "Minderstädte") einige neue Stadttypen:

 

Bergstädte des 15.-17. Jh., insb. im 16 Jh.

= landesfürstliche Gründungen auf der Grundlage des Erzbergbaus in den Mittel-gebirgen und in den Alpen, insb. im Harz, Erzgebirge, Böhmerwald, Schwarzwald.

Beispiele:
Clausthal (1530), Zellerfeld (1526), Andreasberg, Altenau, Lauterberg (Harz),
Annaberg, Schneeberg, Joachimsthal (Erzgebirge)
Schwaz, Rattenberg, Sterzing, Kitzbühel, Schladming (Alpen)

 

Exulantenstädte (Glaubensflüchtlingsstädte) des 16.-18. Jh.

= Gründungen protestantischer Fürsten zur Aufnahme und Ansiedlung von evangeli-schen Glaubensflüchtlingen aus den Gebieten der Gegenreformation.

Wichtigste Gruppen:

Französische Hugenotten (nach der Aufhebung des Edikts v. Nantes 1685), insb. in Brandenburg (Berlin, Erlangen), Hessen (Karlshafen, Homburg, Neu-Isenburg).

Kalvinisten und Mennoniten aus den Niederlanden (insb. aus Wallonien und Flandern) in Krefeld und Altona (Mennoniten), in Wesel, Friedrichstadt, Glückstadt, Neuwied, Frankenthal.

Lutheraner (z.B. Salzburger Exulanten) in Schlesien und Sachsen (z.B. Johanngeorgen-stadt) und in Freudenstadt (württemberg. Gründung im Schwarzwald).

Weitere Gruppen: süddeutsche Hutterer in Mähren, Böhmische Brüder, Waldenser.

 

Festungsstädte des 16. und 17. Jh.

Neugründungen insb. durch Vauban in der zweiten Hälfte des 17. Jh. in Frankreich (Bsp. Neu-Breisach 1698). Daneben häufig Umgestaltung bestehender Städte durch Anlage eines Bastionssystems mit großem freien Schußfeld (Rayon), z.B. Wesel.

 Residenzstädte des 17. und 18. Jh.

Sie verkörpern besonders klar den Typus der "Fürstenstädte", zu dem man die Einzel-typen der Exulanten-, Festungs- und Residenzstädte auch zusammenfaßt.

Residenzstadt als Ausdruck der absolutistischen Staatsauffassung; Mittelpunkt: Schloß; sozialräumliche Gliederung der Stadt als Ausdruck der ständischen Gesellschaft.

Vorbild: Versailles als Residenzstadt Ludwigs XIV (1661-ca. 1700); nach diesem Vorbild gegründet: Karlsruhe (1715), Ludwigsburg (1718).

Häufiger: Erweiterung bestehender Städte um barocke Residenzviertel mit Schloß, z.B.: Berlin-Charlottenburg, München-Nymphenburg, Hannover-Herrenhausen, Bonn-Poppelsdorf, Düsseldorf.

Aber auch Bau von Barockschlössern unmittelbar am Rand der bestehenden Stadt, oft anstelle einer ehem. Zitadelle: Münster, Mannheim, Würzburg, Stuttgart, Koblenz, Dresden, Detmold.

Residenzstädte entwickelten sich oft zu Verwaltungs- und Kulturzentren.

Städtebauliche Prinzipien der Fürstenstädte:

Beeinflußt von den italienischen Renaissance-Stadtplänen mit klaren, streng geometrischen Grund- und Aufrissen, oft quadratisch, z.B. Palmanova.

Grundriß: planvolle Anlage mit quadratischen oder rechteckigen Baublöcken (z.B. Mannheim). Die fächerförmige Straßenanlage Karlsruhes symbolisiert das absoluti-stische Prinzip. Planvolle Anlage durch fürstliche Baumeister; Eigentumshoheit des Landesherrn.

Aufriß: durch strenge Bauvorschriften gleichförmige, teilweise monotone Gestaltung
Bauliche Staffelung der Geschoßzahlen bringt ständische Gesellschaft zum Ausdruck. Einheitliche Gestaltung der Fassaden, der Fenster-, Gesims- und Dachformen durch Vorschriften, meist traufständig!

Städtesystem Mitteleuropas um 1800 als Ergebnis der frühneuzeitlichen Stadtent-wicklung: Die wenigen Neugründungen bleiben meist klein (Ausnahme: Karlsruhe).

Wichtiger ist die Umgestaltung des bestehenden Städtesystems:

Stark gewachsen sind die großen Fürstenstädte, insb. die großen Residenzstädte als Hauptstädte der großen deutschen Territorien: Preußen, Österreich, Bayern, Sachsen usw.

Nur wenige der großen alten Handelszentren haben mithalten können: Hamburg, Bremen, Leipzig, Köln, Frankfurt, Nürnberg. Viele kleinere Reichsstädte stagnierten und wurden von benachbarten Territorialhauptstädten überflügelt (z.B. Eßlingen, Augsburg, Rothenburg, Dortmund, Goslar).

Insgesamt nur relativ bescheidenes Städtewachstum zwischen 1500 und 1800. Die Großstadtschwelle hat sich von etwa 10 000 auf etwa 20 000 Ew. verschoben (bis 1900 auf etwa 100 000).

 

Industriezeitalter (ca. 1800 - 1945)

Das "Industriezeitalter" (19. und erste Hälfte des 20. Jhs.) ist in zweifacher Hinsicht ein entscheidender Wendepunkt der Stadtentwicklung:

a) Urbanisierung bis hin zur "verstädterten Gesellschaft". Grund: Flächengebundene Agrarproduktion tritt zurück hinter die industrielle Produktionsweise mit Standortkonzentration vor allem in den Städten und Revieren.

b) Insbes. in Deutschland: Kriegszerstörungen im 2. Weltkrieg.

Nur relativ wenige Stadtgründungen (vgl. Diagramm von Stoob):

Wichtigste Beispiele: Bremerhaven 1927, Oberhausen 1861, Ludwigshafen 1863, Marl 1936, Wolfsburg 1938.

Viel wichtiger: Erweiterung bestehender Städte einschl. ihrer Umgestaltung. Charakteristische Merkmale der industriezeitlichen Stadtentwicklung (in Anlehnung an Schöller 1967):

- Entstehung industrieller Siedlungsagglomerationen, insb. in Montanrevieren (Ruhrgebiet, Oberschlesien, Saar)
1. Dezentrale Zechenstandorte mit Zechenkolonien in der Nähe,
2. Eisenhütten und Stahlwerke meist in der Nähe bestehender Siedlungen,
3. Bestehende Siedlungskerne werden zu zentralen Orten (insb. Hellwegstädte).

- Insg. wichtiger: industrielle Erweiterungsviertel in bestehenden Städten;
meist ungeplanter Prozeß: Anlage von Fabriken "vor den Toren" der Altstadt. Entstehung von Arbeitervierteln in deren Nähe. Erst mit der Entwicklung neuer Massenverkehrsmittel ab ca. 1880-1900 verstärktes Außenwachstum, oft entlang der neuen Verkehrsachsen (S-Bahn).

Rückwirkungen auf die Alt- bzw. Innenstadt: Citybildung, allmähliche Umkehrung des alten, vorindustriellen zentral-peripheren Sozialgefälles, da die einkommensstarken Haushalte die Innenstädte verlassen und an den Rand ziehen (neue Villenviertel) und einkommensschwache Haushalte in die dicht bebauten Innenstadtquartiere nachfolgen (baulich-soziale Abwertung).

- Vereinheitlichung regionaler Bautraditionen
Frühe Neuzeit: Nebeneinander regionaler Baustile (innerhalb und neben Renaissance und Barock) Industriezeitalter: Angleichung der Regionalstile; regionale Tradition gilt als Provinzialismus, Berlin wird Vorbild; aber schon um 1900 Gegenbewegung: "Heimatschutz"
Bleibende Regionaltradition: z.B. Backsteinbau und Durchfensterung in Norddeutschland, geringere Dachneigung in Süddeutschland.

- "Primat des technischen Städtebaus"
= große Leistung des Städtebaus des 19. Jh.: Straßenbeleuchtung und -pflasterung, Bürgersteige von Fahrbahnen getrennt, Schwemmkanalisation, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Massenverkehrsmittel wie Pferdebahnen, Straßenbahnen, S- und U-Bahnen.
Neue Bauaufgaben ohne Vorbild: Bahnhöfe, Postämter, Brücken, Wassertürme, Fabriken, Markthallen, Schlachthöfe, Krankenhäuser, Schulen, Museen, Kirchen etc.

- Umgestaltung der Kernstadt
"Citybildung" in großen Städten ab ca. 1880 (Berlin); Regel: Citybildung im Altstadtkern oder zwischen Altstadt und Bahnhof ("Bahnhofs-City"). Dadurch Verdrängung der Wohnbevölkerung aus den Innenstädten in die Vororte und räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten.
Nur in großen Städte: Funktionale Differenzierung der City (Regierungs-, Banken- etc. -viertel).

- Umgestaltung der städtischen Wohngebiete
Altstadtviertel sinken in der Regel baulich und sozial ab; es entstehen neue Erweiterungs-Wohnviertel, zunächst ungeplant, dann nach "Bebauungsplänen", die insb. das Straßennetz und damit die Fluchtlinien vorgeben ("Fluchtlinienplan"), berühmtes Bsp.: Berliner Bebauungsplan von James Hobrecht 1862.
Neue Wohnviertel entstehen meist mit klarer sozialer Segregation:
(1) Arbeiterwohngebiete in der Nähe der Fabriken mit geschlossener Bebauung (mehrgeschossige "Großmietshäuser" mit mehr als 12 und "Mietskasernen" mit mehr als 20 Wohnungen;
(2) Kleinbürgerliche und gemischte Viertel mit geschlossener, mehrgeschossiger Mietshausbebauung (oft noch mit vertikaler Segregation wie in vorindustrieller Zeit);
(3) Bürgerlich-großbürgerliche Viertel mir offener Bauweise (Villenviertel oft mit Stadtpark).

 

Entwicklungsphasen:

1. Phase 1800 - ca. 1850

Städtewachstum noch relativ gemäßigt; erste, meist planlose Erweiterungen vor den oft noch durch Mauer und Tore abgegrenzten Altstädte.

 

2. Phase: ca. 1850 - 1875

Städtewachstum beschleunigt sich; Fabriken und Arbeiterwohnviertel entstehen.

Städte und/oder staatliche Regierungen entwerfen für diese Viertel "Bebauungs-" oder "Fluchtlinienpläne", die jedoch staatlich (z.B. vom preußischen Innenministerium) polizeilich genehmigt werden müssen. Rechtsgrundlage: Allg. Preuß. Landrecht. Demnach kann der Grundeigentümer im Prinzip sein Grundstück bebauen wie er will. Auflagen lediglich: Fluchtlinie vorgegeben, feuerpolizeiliche Anforderungen.

Probleme der Städte: Zwar Enteignungsrecht für Anlegung neuer Straßen und Umlegung, aber Entschädigungszwang und Kosten für Straßenbau.

Straßengrundrisse: meist regelhaft, rechteckig, teilw. begrünte Plätze ausgespart.

Berühmter Berliner Bebauungsplan von James Hobrecht 1862:
Breite, repräsentative Straßen; große Baublöcke führten zur berüchtigten Hinterhofbebauung. Erschließung und Bebauung durch "Terraingesellschaften" führte zu maximal zulässiger Überbauung: Hinterhöfe oft nur 6x6 m für Sprungtuch und Wenden der Feuerspritze!

 

3. Phase: 1875 - 1918

1875: Preußisches "Fluchtliniengesetz" (= Stadtplanungsgesetz). Die Aufstellung von Bebauungsplänen wird kommunale Angelegenheit und damit vereinfacht; neue Entschädigungsregeln: Anlieger können zum Straßen- und Kanalbau herangezogen werden.

Entstehung der "gründerzeitlichen" oder "wilhelminischen" Wohngürtel insb. in Berlin, Wien, Leipzig u.a. großen Städten durch private Investoren (Bauunternehmer, Handwerker, Terraingesellschaften).

Wichtige Gebäudetypen: mehrgeschossiges (4-5 Geschosse) Mietshaus, oft "Großmietshaus" (über 12) oder "Mietskaserne" (über 20 Wohnungen); meist Kleinwohnungen! Beispielsweise Berlin 1875: 53 % Einzimmer- und 25 % Zweizimmer-Wohnungen! (Ruhrgebiet nur 28 % bzw. 36 %; d.h. West-Ost-Gefälle im Deutschen Reich).

Erhebliche regionale Differenzierungen: Mietskaserne insb. in Berlin, Leipzig, Dresden, Prag, Wien und generell in Ostdeutschland.
Dagegen Ruhrgebiet: hoher Werkswohnungsanteil (Kolonien);
Norddeutsche Küstenstädte: hoher Anteil von Reihenhäusern wie in England;
West- und Süddeutschland: oft Mietshäuser mit 6-12 Wohnungen;
Gründe: verschiedene Investoren; Einkommensgefälle; regionale Traditionen.

Ab ca. 1900: Gegenbewegung gegen großstädtischen Mietwohnungsbau:

(1) wissenschaftlicher Städtebau (J. Stübben, C. Sitte): Versuche zu Reformen durch Bauzonenordnungen, durch Auflockerung der strengen, monotonen rechteckigen Straßengrundrisse: mehr Plätze, gewundene Straßenführungen, Durchgrünung (Sitte: "vom dekorativen zum sanitären Grün") Versuche, durch Parzellierung die Hinterhofbebauung zu vermeiden.

(2) Gartenstadtbewegung
beeinflußt von E. Howard ("Garden-Cities of To-Morrow", 1898) und englische Reformsiedlungen (G. Cadbury: Bournville b. Birmingham; Lever: Port Sunlight b. Liverpool) erste Gartenstädte in England: Letchworth (1903ff.), Welwyn Garden City (1920ff.).

Kernthesen: Verbindung der positiven Seiten urbanen und ländlichen Lebens; gesunde Auflockerung der städtischen Steinwüsten; räumliche Nähe von Wohn- und Arbeitsstätten, genossenschaftliches Eigentum.

1902 Gründung der Deutschen Gartenstadtgesellschaft. In Deutschland entstanden allerdings keine selbständigen Gartenstädte, sondern nur von der Gartenstadt-Idee mehr oder weniger stark beeinflußte Siedlungen am Rand bestehender größerer Städte. Am ehesten: Dresden-Hellerau und Karlsruhe-Rüppur als genossenschaftliche Siedlungen. Jedoch indirekt starker Einfluß auf Städtebau: insb. auf Werkssiedlungen von Krupp (E-Margarethenhöhe, DU-Margarethenhof, BO-Dahlhauser Heide, Datteln-Beisenkamp); schließlich wurden fast alle Wohnsiedlungen mit offener, durchgrünter Bauweise "Gartenstadt" genannt.

 

4. Phase: 1918 - 1933

Aufnahme der Reformideen durch (nunmehr oft sozialdemokratische) Stadtplanung.

Zahlreiche Modelle eines neuen, modernen Städtebaus mit neuen experimentellen Grund- und Aufrißformen.

Große Bedeutung des kommunalen bzw. genossenschaftlichen Wohnungsbaus; viele Genossenschaften entstanden um 1900, als immer deutlicher wurde, daß der Wohnungsmangel der schnell wachsenden gründerzeitlichen Städte durch den freien Markt und private Investoren nicht gedeckt werden konnte; desh. viele berufsständische und kommunale Wohnungsgenossenschaften, die nach 1918 verstärkt von den Kommunen unterstützt werden und zu Instrumenten der kommunalen Wohnungspolitik wurden.

Städtebauliche Leitbilder: Nebeneinander divergierender Strömungen:

einerseits konservativer (und häufig antiurbaner) 'Heimatstil' mit dem Versuch, regionalistische ländliche Bautraditionen im Städtebau zu erhalten bzw. wiederzubeleben,

andererseits: Städtebauliches Leitbild der "Moderne" als Antithese zur gründerzeitlichen (Mietskasernen-)Stadt:
- Gliederung und Auflockerung durch Licht, Luft, Grün,
- Absonderung störender Nutzungen,
- Begrenzung der Wohndichte,
- Orientierung an öffentlichen Nahverkehrsmitteln,
- "Nachbarschaftseinheiten" gegen großstädtische Anonymität,
- Städtebau und Wohnungsbau als kommunale Aufgabe.

Äußerliches Merkmal: Aufgabe der geschlossenen Blockrandbebauung zugunsten einer halboffenen und offenen Bauweise, z.B. in Zeilenbauweise.

 

"Funktionalismus" in Architektur und Städtebau. Ziel: "Funktionaler Umbau der Stadt". Wichtigste Impulse des modernen Städtebaus gingen aus von:

1) Bauhaus 1919-1933 Weimar/Dessau, dann aufgelöst, wichtige Architekten und Städtebauer emigrierten nach Nordamerika, z.B. Walter Gropius und Bruno Taut, Mies van der Rohe u.a.; Ziel: klare funktionale Formensprache, gegen zweckfreie Ornamentik ("Schön ist das, was funktional ist, nämlich die reine Form", z.B. für Flachdach, kubische Hausform).

2) CIAM ("Congrès International d'Architecture Moderne") 1928ff. Hauptvertreter: Le Corbusier: Er veranlaßte die berühmte "Charta von Athen" 1933 mit Forderungen:
- Forderung nach Bodenreform aus kollektivem Interesse,
- strikte Trennung der 4 Funktionen "Wohnen", "Arbeiten", "sich erholen" und "sich bewegen".
Weitreichender Einfluß auf die "moderne" Stadtplanung.

 

 

5. Phase: 1933 - 1945

Nationalsozialistische Stadtideologie:

 

Einerseits gegen "großstädtische Entartung" und für bodenverbundene Kleinsiedlung (im Heimatstil); damit verbunden weitreichende Pläne zu einer Re-Agrarisierung der Bevölkerung und zur Auflösung der Städte ("Brutstätten des Industrialismus und Sozialismus"). Diese Pläne (stammend aus dem ideologischen Reservoir des antimodernen agrarromantisierenden konservativen Bürgertums) wurden jedoch nie ernsthaft realisiert, zumal bald die (in den Städten, vor allem im Ruhrgebiet lokalisierte) Kriegswirtschaft absolute Priorität genoß.

 

Andererseits: monumentale Umgestaltung der Städte als den Symbolen der "neuen Ordnung": z.B. Umbau Berlins zur "Hauptstadt Europas" mit 10 Mio Ew; ferner der Städte, die in der NS-Bewegung eine besondere Bedeutung hatten wie Linz, München, Nürnberg und Hamburg, ferner auch der (übrigen) Gauhauptstädte. Geplant: große Straßenachsen und Plätze mit monumentalen Großbauten, Großhallen, Triumphbögen usw. und geeignet für Aufmärsche und andere Massenveranstaltungen. Von diesen Plänen, die vor allem von Speer koordiniert wurden und die häufig Hitler persönlich eingriff, wurde jedoch nur ein kleiner Teil realisiert (z.B. Linz, Berlin-Tempelhof).

Baustil: entschiedene Ablehnung der "Bauhaus-Moderne", einerseits Heimatstil, andererseits Monumentalbau.

Die "völlige Umgestaltung der deutschen Städte" kam aber ganz anders: nämlich durch den Zweiten Weltkrieg. Zunächst nur strategische Ziele, dann auch flächenhafte Bombardierung. Insg. ca. 1/3 aller Wohnungen zerstört; in großen Städten und manchen kleinen oft über 70 %.

 

Nachkriegszeit (1945 - heute)
unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichs BRD/DDR

2.5.1 Wiederaufbau 1945 - ca. 1960

Ganz im Vordergrund stand zunächst der Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte und die Schaffung von viel billigem Wohnraum zur Unterbringung der Bevölkerung. Wiederaufbau setzte nach der Währungsreform insb ab 1949/50 ein. Dabei grundlegend unterschiedliche Entwicklung BRD/DDR:

BRD: Relativ höherer Grad der Kriegszerstörungen: in Großstädten rund 1/2, in Mittelstädten rund 1/3 und in Kleinstädten rund ¼ des Wohnungsbestandes zerstört. Ein Großteil der Stadtbevölkerung war auf dem Lande untergebracht ("Evakuierte"). Die Wohnungsnot wurde dramatisch verschärft durch den Zustrom von rund 10 Mio. Flüchtlingen (auch aus der SBZ/DDR) und Vertriebenen (aus den ehem. deutschen Ostgebieten).

1950 Wohnungsbaugesetz; Schwerpunkt: Bau von Sozialwohnungen, insb. in Städten in 3-4-geschossigen Mietshäusern; in ländlichen Räumen meist als 1-Fam.-Häuser ("Kleinsiedler" mit großen Nutzgärten zur Selbstversorgung).

DDR: Wohnungsnot war etwas geringer (außer in Berlin), da geringere Kriegszerstörungen und weniger Bevölkerung; Schwerpunkt der staatlichen Investitionspolitik: Wiederaufbau der zerstörten bzw. demontierten Industrieanlagen.
Z.B. im Jahr 1955 in der BRD 563.000, in der DDR nur 33.000 Neubauwohnungen!
1950 Aufbaugesetz: sozialistische Bodenordnung mit Aufhebung des freien Bodenmarktes und weitgehendem Enteignungsrecht für staatliche Planung.

Städtebauliche Prinzipien nach sowjetischem Vorbild:

- Hauptmagistralen (z.B. Stalinallee = Karl-Marx-Allee in Ostberlin)

- große, zentrale Plätze (z.B. Alexanderplatz)

- städtebauliche Dominanten: repräsentative Gebäude der Massenorganisationen, Kultur etc.

Städte als Ausdruck der neuen gesellschaftlichen Ordnung (nicht Kommerz und Banken, sondern öffentliche Gebäude im Zentrum, auch Wohnungen, z.B. Leipziger Str.).

BRD: Wiederaufbau der zerstörten Innenstädte in mehr oder weniger starker Anlehnung an Vorkriegsstruktur; dabei unterschiedliche Typen:

- völlige Neuordnung des Stadtkerns mit Umlegung und neuem Straßennetz: Wesel, Hannover;

- partielle Neuordnung mit teilw. Umlegung und mit Durchbruch von Verkehrsachsen: z.B. Duisburg, Essen, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Bonn, Hamburg usw.;

- Wiederaufbau ohne größere Neuordnung in wenig zerstörten Städten, z.B. Wuppertal.

Persistenzfaktoren:

- Parzellengliederung und oft unklare Eigentumsverhältnisse;

- bestehende Ver- und Entsorgungssysteme ("unterirdischer Städtebau");

- wenig Zeit und Geld für umfassende Neuplanungskonzepte;

- Traditionsbewußtsein der Bevölkerung (insb. in Bürgerstädten wie Münster.

Andererseits: großer Idealismus, etwas Neues zu schaffen und alte Fehler zu vermeiden.

Problem: Neubauten oft monoton, nur wenig städtebauliche Individualität, aber auch hohe städtebauliche Qualität in Anbetracht der bescheidenen Geldmittel und im Vergleich zum Städtebau der 60er und 70er Jahre.

 

Wohngebiete: neben der Wiederauffüllung kriegszerstörter Baulücken Bau neuer Wohnsiedlungen meist mit Sozialwohnungen; oft dort gebaut, wo zusammenhängende Fläche verfügbar war, d.h. am Stadtrand; meist anspruchslose mehrgeschossige Mietwohnhäuser in offener Zeilenbauweise mit kleinen, komfortarmen Wohnungen, jedoch mit großzügiger Durchgrünung.

Leitbild: "die gegliederte, aufgelockerte Stadt", d.h. Leitbild des "modernen Städtebaus", wieder anknüpfend an Weimarer Zeit).

Neue Städte: Satelliten- und Trabantenstädte nach dem Modell der Gartenstädte und der "New Towns", z.B. Sennestadt b. Bielefeld 1957ff.

 

 

Wachstumsphase 1960-1975

DDR: weiterhin verzögerter Wiederaufbau, daneben stärkere Neubautätigkeit in offener, 5- bis 10-geschossiger Zeilenbauweise (industrielle Fertigbauteile, Standardtypen)

Sozialistischer Wohnkomplex: Neubauviertel mit ca. 10.000-30.000 Ew., durchgrünte, offene Hochhauszeilen, Zentrum. insb. öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Sportanlagen, Ambulatorium, daneben auch Kaufhalle, Gaststätte, Dienstleistungsgebäude (staatl.)

BRD:

1960 Bundesbaugesetz, 1965 Raumordnungsgesetz, ferner Landesplanungsgesetze.

Zeit hochfliegender Stadtentwicklungs- und Stadterweiterungsprojekte, scheinbar grenzenloses Wachstum der Wirtschaft und Steuereinnahmen sowie der Ansprüche an Wohnungsgröße und -qualität und an Infrastrukturleistungen:

Um 1960 zunehmende Kritik am Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt, z.B.: Jane Jacobs 1963, H. P. Bahrdt 1961, Alexander Mitscherlich 1965.

Neue Leitbilder: intensives und vielgestaltiges Leben, 'Dichte und Urbanität' (bzw. in extremer Variante: 'Urbanität durch Dichte') und 'verkehrsgerechte Stadt'. Damit z.T. Rehabilitation der gründerzeitlichen Stadt, in der Realität wurde allerdings häufig nur Dichte ohne Nutzungsvielfalt (und damit Urbanität) geschaffen! Hochzeit der wissenschaftlichen Stadtplanung; Vorstellung, man könne mit wissenschaftlichen Methoden die Lebensbedürfnisse der Menschen optimal erfüllen; Ziel: umfassende Stadtentwicklungsplanung auf wissenschaftlicher Grundlage.

Bau von Großwohnsiedlungen (Trabantensiedlungen) z.B. Märkisches Viertel, Garath, Chorweiler und von Satellitenstädten z.B. Wulfen, Erkrath-Hochdahl, Meckenheim-Merl.

Städtebauliches Leitbild: "Urbanität durch Verdichtung"
= Modifizierung des vorherigen Leitbildes der "aufgelockerten gegliederten Stadt"
Vielgeschossige, dichte Bebauung und hohe Fremdkapitalfinanzierung führen teilweise zu geringer Attraktivität, desh. später teilw. hohe Leerstände, hohe Fluktuation und soziale Desintegration.

Bestehende Wohnviertel: Stagnation, oft durch zunehmende Verkehrsbelastung aber auch "Sanierung" mit hohen (auch öffentlichen) Investitionen: Flächen-/Totalsanierung, partielle Sanierung, Objektsanierung

Innenstädte: horizontale und vertikale Ausweitung der Geschäfts- und Verwaltungszentren als Folge der wirtschaftlichen Prosperität ("Citybildung" mit hohen Bodenpreissteigerungen und Dominanz der profitabelsten Nutzungen), dadurch Verdrängung der Wohnbevölkerung aus den Innenstädten.

Wichtiger Faktor der Stadtentwicklung: Privatmotorisierung.

Innenstädte: teilw. Abwertung, teilw. Bau von innerstädtischen Schnellstraßen, z.B. in Hoch- und Tieflagen wie in Essen, Duisburg, Düsseldorf, Köln.

Außenbereiche: Umwälzung der Erreichbarkeitsverhältnisse führte zur räumlichen Auflockerung der Stadt: Trabantensiedlungen und Suburbanisierung.

 

Gegenwart: seit 1975 (Postmoderne?)

Ab ca. 1975 veränderte Rahmenbedingungen: Bevölkerungsstagnation und -rückgang, Abschwächung des Wirtschaftswachstums, Stagnation der privaten Einkommen, Wertewandel (u.a. Umweltsensibilisierung), Ausdifferenzierung der Lebensstile.

einige wichtige Trends:

- weiterhin Suburbanisierung, getragen durch privaten Eigenheimbau; kleinteiliges Wachstum im Umland der Städte anstelle von Großwohnsiedlungen;

- krisenhafte Probleme der Ballungskernstädte durch Abwanderung von Mittelschichtbevölkerungs und Gewerbe, dadurch Rückgang der Steuereinnahmen bei wachsenden Sozialausgaben;

- Umorientierung der Stadtplanung: erhaltende, "sanfte" Modernisierung, Wohnumfeldverbesserung z.B. durch Verkehrsberuhigung; Kehrtwende der Verkehrsplanung;

- Tertiärisierung der ökonomischen Basis (auch innerhalb der Industrie): Dominanz der Dienstleistungsberufe; neue stadtorientierte Mittelschicht führt teilw. zur "Gentrification" zunehmende Entwicklungsunterschiede zwischen Industrie- und Dienstleistungsstädten.

Veränderung der städtebaulichen Leitbilder:

1. Stadterneuerung und Denkmalpflege,

2. die Stadt als Bühne, Stadtkultur und Stadt-Marketing (damit de facto Aufgabe der sozial integrierten Stadt!),

3. die ökologische Stadt ("nachhaltige" Stadtentwicklung).

Damit charakteristisch für die postmoderne Stadtplanung: Leitbildvielfalt und Inkaufnahme der Stadt-Fragmentierung!

Baustil: Postmoderne (Ästhetisierung des Stadtbildes, Rehabilitation der funktionslosen Ornamentik, Stilzitate).

Weitere aktuelle Prozesse werden im Kapitel 5 näher behandelt.