Theorie der Raumplanung

Grundbegriffe "Raum", "Planung" und "Raumplanung"

Zur gesellschaftspolitischen Legitimation von Raumplanung: Argumente und Gegenargumente

Ausgewählte Theorieansätze aus verschiedenen Disziplinen:

Raumplanung als technische Problemlösung (Meise u. Volwahsen)

Raumplanung in juristisch-staatswissenschaftlicher Sicht (Lendi)

Raumplanung in wirtschaftswissenschaftlicher Sicht (Brösse)

Raumplanung als Produktion von Standorten (Bökemann)

Raumplanung als politischer Prozeß (Hübler, Fürst u. Selle)

Raumplanung in der Postmoderne bzw. im Postfordismus

Grundlegende Literatur zur Theorie der Raumplanung:

Aigner, Birgit und Manfred Miosga (1994): Stadtregionale Kooperationsstrategien. Neue Herausforderungen und Initiativen deutscher Großstadtregionen. Kallmünz: Laßleben. 199 S. = Münchener Geogr. Hefte 71.

Bischoff, Ariane, Klaus Selle und Heidi Sinning (1995): Informieren, Beteiligen, Kooperieren. Kommunikation in Planungsprozessen. Eine Übersicht zu Formen, Verfahren, Methoden und Techniken. Dortmund: Dortmunder Vertrieb f. Bau- u. Planungslit. 174 S. = Kommunikation im Planungsprozeß 1.

Bökemann, Dieter (1982): Theorie der Raumplanung. Sozialwissenschaftliche Grundlagen für die Stadt-, Regional- und Landesplanung. München: Oldenbourg. 477 S.

Brösse, Ulrich (1982): Raumordnungspolitik. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter. 200 S.

Campbell, Scott und Susan Fainstein (Hg.) (1996): Readings in planning theory. Oxford: Blackwell. 560 S.

Dienel, P. C. (1992): Die Planungszelle. Der Bürger plant seine Umwelt. 3. Aufl. Opladen. 293 S.

Faludi, Andreas (1996): Framing with images. In: Environment and Planning B: Planning and Design 23, S. 93-108.

Faludi, Andreas und Willem Korthals Altes (1996): Marketing planning and its dangers. How the new housing crisis in The Netherlands came about. In: Town Planning Review 67, S. 183-202.

Fürst, Dietrich (1996): Regionalplanung im System gesellschaftlicher Steuerung. In: Zukunftsaufgabe Regionalplanung. Wiss. Plenarsitzung 1995. Hannover: ARL. S. 157-172. = ARL, Arbeitsmater. 221.

Fürst, Dietrich (1996): Komplexitätsverarbeitung in der Planung (Stadt-, Regional- und Landesplanung) - am Beispiel der Regionalplanung. In: Arch. f. Kommunalwiss. 35, S. 20-37.

Häussermann, Hartmut und Walter Siebel (1994): Neue Formen der Stadt- und Regionalpolitik. In: Archiv f. Kommunalwiss. 1, S. 32-45.

Hahn, Ekhart (1992): Ökologischer Stadtumbau. Konzeptionelle Grundlegung. Frankfurt: Lang (2. Aufl. 1993). 165 S. = Beitr. z. kommun. u. regionalen Planung 13.

Helbrecht, Ilse (1994): "Stadtmarketing", Konturen einer kommunikativen Stadtentwicklungspolitik. Basel: Birkhäuser. 249 S. = Stadtforsch. aktuell 44.

Keller, Donald A., Michael Koch und Klaus Selle (Hg.) (1993): Planungskulturen in Europa. Erkundungen in Deutschland, Frankreich, Italien und in der Schweiz. Darmstadt/Zürich: Verl. f. wiss. Publ./Inst. f. Orts-, Reg.- u. Landespl. d. ETH. 84 S. = DISP, Dok. u. Inf. z. Schweiz. Orts-, Reg.- u. Landespl. 115.

Konter, Erich (1997): Lebensraum Stadt - Stadt-Regulation. Grundlagen einer Planungstheorie und -soziologie. 300 S. = Akad. Abhn. z. Raum- u. Umweltforsch.

Lendi, Martin (1995): Grundriß einer Theorie der Raumplanung. Einleitung in die raumplanerische Problematik. 2. Aufl. Zürich: vdf Hochschulverl. 152 S. 3. Aufl. 1996. 168 S.

Maurer, Jakob, Ernst Heer und Dietmar Scholich (Hg.) (1997): Planungssysteme - Planungskonzepte, wie weiter? Zürich: vdf-Hochschulverl. 180 S. = ORL-Bericht 101/1996.

Moewes, Winfried (1980): Grundlagen der Lebensraumgestaltung. Raum und Mensch, Prognose, "offene" Planung und Leitbild. Berlin: de Gruyter. 878 S.

Priebs, Axel (1995): Von der Planung zur Moderation. Aktuelle Herausforderungen für die Angewandte Geographie. In: GR 47, S. 546-550.

Selle, Klaus (1994): Was ist bloß mit der Planung los? Erkundungen auf dem Weg zum kooperativen Handeln. Ein Werkbuch. Dortmund: Inst. f. Raumplanung. 363 S. = Dortmunder Beitr. z. Raumpl. 69.

Selle, Klaus (Hg.) (1996): Planung und Kommunikation. Gestaltung von Planungsprozessen in Quartier, Stadt und Landschaft. Grundlagen, Methoden, Praxiserfahrungen. Wiesbaden: Bauverl. 505 S.

Sinning, Heidi (1995): Verfahrensinnovationen kooperativer Stadt- und Regionalentwicklung. In: Raumf. u. Raumo. 53, S. 169-176.

Spehl, Harald (1994): Nachhaltige Regionalentwicklung. In: Dauerhafte, umweltgerechte Raumentwicklung. Hg.: ARL. Hannover: ARL. S. 69-98. =ARL, Arbeitsmaterial 212.

Stiens, Gerhard (1996): Prognostik in der Geographie. Braunschweig: Westermann. 223 S. = D. Geogr. Seminar.

Streich, Bernd (1988): Grundzüge einer städtebaulichen Leitbildtheorie. Bonn: Inst. f. Städtebau, Bodenordnung u. Kulturtechnik d. Univ. 157 S. = Schriftenreihe d. Inst. f. Städtebau, Bodenordnung u. Kulturtechnik 8.

Streich, Bernd (1994): Planung im Zeitalter der Information. Sind wir den Herausforderungen gewachsen? In: Hans-Jörg Domhardt und Christian Jacoby (Hg.): Raum- und Umweltplanung im Wandel. Festschr. f. Hans Kistenmacher. Kaiserslautern: Lehr- u. Forschungsgebiet Regional- und Landesplanung d. Univ. S. 525-538.

Szenarien in der Stadtentwicklung (1989). Zum Stand der Diskussion. Mit Beitr. v. H. Arras u.a. Dortmund: ILS. 200 S. = ILS-Taschenbücher.

 

Grundbegriffe "Raum", "Planung" und "Raumplanung"

Zur gesellschaftspolitischen Legitimation von Raumplanung

"Raum":

= zentraler Begriff der Geographie und Raumplanung; dennoch wird er häufig im alltagsweltlichen Sinne ohne gründlichere Reflexion benutzt.

Philosophische Raumkonzepte:

1) absoluter Raum, sog. "Behälter-Raum" (I. Newton): gedanklich vorstellbar als Kasten, dessen Wände unendlich weit nach außen verschoben sind; bei Newton: absoluter (göttlicher) Bezugsrahmen der klassischen Mechanik;

2) relationaler Raum (G. Leibniz); Raum als "ordo coexistendi" der materiellen Welt;

3) Raum als "Anschauungsform" (I. Kant); Raum und Zeit als den Sinneseindrücken vorangehende ("a priori") Bedingungen der Erkenntnis.

Darauf basieren die neueren Raumkonzepte in den Wissenschaften:

4) Individuelle Raumkonzepte: wahrgenommener Raum, "gelebter Raum" ("espace vécu");

5) Raum als natürliche bzw. materielle Umwelt des Menschen,

6) Gesellschaftliche Raumkonzepte: politisches Territorium, wirtschaftlicher Funktionsraum, Absatzraum eines Unternehmens, Aktionsraum eines Menschen, "Matrix-Raum".

In der Raumplanung wird Raum immer verstanden als "Lebensraum", d.h. als Synthese von physischem Raum und menschlicher Nutzung (Sphäre des Menschen); Elemente: Landschaft, Wirtschaft, politisch-territorialer Raum usw.

 

"Planung":

Im allgemeinen Sinne ist Planung die vorwegnehmende Koordination menschlicher Handlungen und deren Steuerung über längere Zeit (in Anlehnung an den Sozialwissenschaftler Fritz Scharpf). Die Formen der Planung können sehr unterschiedlich sein.

 

"Raumplanung" (nach M. Lendi):

Raumplanung ist die vorwegnehmende Koordination von raumwirksamen menschlichen Handlungen und deren Steuerung über längere Zeit. Raumplanung umfaßt alle räumlichen Planungen der öffentlichen Hand auf allen Ebenen (Gemeinde bis supranationale Ebene) sowie in allen raumrelevanten Sachgebieten (Umwelt, Wirtschaft, Verkehr, Siedlung usw.).

Der "Raumbezug" ist darin in zweifacher Weise enthalten:

a) "raumwirksam", "raumrelevant": Problem der Bezugnahme auf "Raum" mit dessen semantischer Vieldeutigkeit;

b) "räumliche Planung": Bezugnahme auf die institutionalisierte Planungsverwaltung (so wie sie sich vor allem in D, NL, CH und AU entwickelt hat).

 

 

Zur gesellschaftspolitischen Legitimation von Raumplanung:

Argumente und Gegenargumente

Liberale Position:

Räumliche Disparitäten sind eine unvermeidbare, aber auch nur vorübergehende Folge von Marktmechanismen, insb. als Folge von gewandelten Standortanforderungen und unterschiedlichen Marktanpassungsgeschwindigkeiten. Die Autonomie individueller Standortentscheidungen und der Markt-Preis-Mechanismus führen (jedenfalls auf längere Sicht) optimalen Allokation der Produktionsfaktoren und damit zur Maximierung des Sozialprodukts. Die Mobilität der Faktoren Arbeit und Kapital (sowie Wissen) bewirkt Disparitätenausgleich ("Konvergenz-Theorem"). Der Staat kann nicht klüger sein als die Summe der individuellen Akteure. Staatliche Eingriffe qua Raumordnung sind deshalb nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, weil sie zu Verzerrungen der Märkte und letztlich zu Wohlfahrtseinschränkungen führen. Fazit: Raumplanung und Strukturpolitik sind ordnungspolitisch fragwürdig!

Marxistische Position:

Räumliche Disparitäten sind Ausdruck gesellschaftlicher Klassengegensätze: der unaufhebbaren Widersprüche zwischen den Interessen des Kapitals und den Interessen der Bevölkerung. Innerhalb der Staatsgebiete bestehen unterschiedliche Voraussetzungen für die Kapitalverwertung. Die Vertreter des Kapitals (Unternehmer und ihre "politischen Hilfstruppen") setzen ihre Kapitalverwertungsinteressen durch und bestimmen die Standorte der Produktion, d.h. sowohl deren Gründung als auch deren Schließung. Dadurch entstehen Krisenregionen wie ländliche Entleerungsräume und altindustrielle Regionen; verallgemeinert: Zentrum-Peripherie-Gegensätze als räumlicher Ausdruck der Klassen-Gegensätze. Diese Gegensätze sind im kapitalistischen System unaufhebbar. Raumordnung kann sie allenfalls übertünchen und verschleiern. Einzige Lösung: Die werktätige Bevölkerung übernimmt die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, d.h. insb. über das Kapital, und plant die räumliche Struktur nach ihren Interessen.

 

Sozialstaatliche Position

Räumliche Disparitäten sind eine Folge von Marktmechanismen. Wie die Erfahrungen der letzten anderthalb Jahrhunderte belegen (und wie die neuere Theoriebildung auch verständlich mach), tendieren diese jedoch keineswegs automatisch zum Ausgleich. Außerdem hat sich gezeigt, daß der "Markt" nicht nur auf dem sozialen Auge, sondern auch auf dem ökologischen Auge "blind" ist. Konsequenz: Der Staat hat die Aufgabe, korrigierend einzugreifen. Ohne das marktwirtschaftliche System im ganzen aufzuheben, muß der Staat versuchen, räumlichen Disparitäten entgegenzuwirken und den Raubbau an der Natur zugunsten einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen zu verhindern. Aus dieser Konzeption lassen sich unterschiedlich akzentuierte Konzeptionen der Raumordnung ableiten:

a) Raumordnung als "räumliche Sozialpolitik",

b) Raumordnung als "räumlichre Entwicklungspolitik",

c) Raumordnung als "räumliche Umweltpolitik".

 

Grün-alternative Position

Diese Position geht von der doppelten Kritik aus:

1) Freie Ökonomie führt zu einem Raubbau an den natürlichen Ressourcen (Natur-Blindheit),

  1. Integration lokaler und regionaler Räume in überregionale/globale Verflechtungszusammenhänge

führt zu Abhängigkeiten:

- der lokalen und regionalen Ökonomien,

- der Individuen von sozialstaatlichen Versorgungssystemen.

Forderung neuer raumpolitischer Akzente:

Abkoppelung),

(z.B. regenerative Energien),

baren Größenordnungen.

Fazit: Raumordnung auf lokaler und regionaler Ebene, aber mit neuen Zielen und Leitbildern.

 

Ausgewählte Theorieansätze aus verschiedenen Disziplinen:

 

Raumplanung als technische Problemlösung (Meise u. Volwahsen)

Beispiel:

Meise, Jörg und Andreas Volwahsen (1980): Stadt- und Regionalplanung. Ein Methodenhandbuch. Braunschweig: Vieweg. 377 S.

Stadt- und Regionalplanung (Raumplanung) wird verstanden als technische Problemlösung. Raumplanung wurde bisher häufig unprofessionell betrieben und war geprägt durch Ad-hoc-Entscheidungen. Die meisten Planer sind (bzw. waren seinerzeit) Autodidakten, die ganz unterschiedliche Disziplinen studiert haben und deshalb auch mit sehr unterschiedlichen Methoden ihr Handwerk betreiben. Tatsächlich hat der Planer jedoch einen umfangreichen Instrumentenkasten aus unterschiedlichen Disziplinen zur Verfügung, mit Hilfe dessen er die von der Politik gestellten Aufgaben wissenschaftlich professionell angehen und "nach dem Stand der Technik" lösen kann. Es gibt keine umfassende Theorie der Raumplanung, sondern ein breites Spektrum von professionellen Methoden, derer sich der Planer bedienen kann.

Die Ziele werden zwar von der Politik vorgegeben, im Sinne einer wissenschaftlichen Politikberatung kann aber auch die Findung und Systematisierung von Zielen vom Planer vorbereitet und vorgeschlagen werden.

Das Handbuch ist gegliedert in Anlehnung an den idealtypischen Verlauf eines linearen Planungsprozesses:

1. Informationsgewinnung,

2. Informationsverdichtung,

3. Ziel- und Problemstrukturierung,

4. Analyse (Zusammenhänge und Wirkungen, Raumtypisierung),

5. Planentwicklung (Leitbilder, Planelemente, inhaltliche Teilkonzepte, Planalternativen),

6. Prognosen (Expertenschätzung, Szenario, Trendprojektion, Simulation).

7. Bewertung (Nutzen-Kosten-Analyse, Nutzwertanalyse, Bewertungskonflikte usw.).

 

 

 

Raumplanung in juristisch-staatswissenschaftlicher Sicht (Lendi)

Beispiel:

Lendi, Martin (1988): Grundriss einer Theorie der Raumplanung. Einführung in die raumplanerische Problematik. Zürich: Verlag der Fachvereine. 140 S.

Rechtswissenschaftliche Grundlegung der Raumplanung. Als öffentliche Aufgabe und als politisch-administratives System benötigt die Raumplanung Rechtsnormen (Handlungsregeln). Da das Raumplanungsrecht ein verhältnismäßig junges Rechtsgebiet ist, ist die Ableitung und Begründung der raumplanerischen Rechtsnormen aktuell.

Zwei wichtige Quellen für normatives Handeln:

(1) Latente Normen in den vermeintlich wertfreien, objektiven Theorien, z.B. in den Raumwirtschaftstheorien wie Zentrale-Orte-Theorie. Meist unausgesprochene Absicht, daß die Theorie eine Wahrheit enthält, die die Praxis beachten soll. Ebenso Theorie der Nachhaltigkeit.

(2) Noch wichtiger sind die in der Gesellschaft vorhandenen (und einer historischen Wandlung unterliegenden) Normen. Dazu gehören die vorhandenen Gesetze, Rechtsverordnungen etc., aber auch die informellen Normen wie Werthaltungen, Sitte, Moral.

Raumplanung ist als öffentliche Aufgabe in das Normensystem des Staates eingebunden. Das heißt: Der Staat (genauer: die Parlamente) setzt die Normen. Er orientiert sich dabei an den gültigen und herrschenden Werthaltungen und vermeidet zu große Abweichungen. Er eröffnet jedoch der planenden Verwaltung bewußt Ermessensspielräume, die im Planungsvollzug ausgefüllt werden können. Dadurch werden im Verwaltungsvollzug die Normen ausgestaltet, konkretisiert und ggfs. auch wieder revidiert. Planung steht insofern immer in einer Spannung zwischen Normen und Realität. Wenn diese Spannung zu groß wird, wird die Planung zur Utopie und ihre gesellschaftliche Akzeptanz geht verloren. Wenn die Spannung zu klein wird, vollzieht Planung nur die Realität nach und macht sich damit überflüssig. Weil Planung immer auf (gesellschaftlich und parlamentarisch vorgegebenen) Normen basiert und ihrerseits Normen (innerhalb ihrer Planungsspielräume) setzt, ist Planung niemals nur ein Verwaltungsvollzug, sondern immer auch ein politischer Prozeß.

 

 

 

Raumplanung in wirtschaftswissenschaftlicher Sicht (Brösse)

Beispiel:

Brösse, Ulrich (1982): Raumordnungspolitik. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter. 200 S.

Der Verfasser ist Volkswirt und entwirft ein systematisches Gebäude der überörtlichen Raumplanung (Brösse: Raumordnungspolitik) in Anlehnung an die seit längerem bestehende und wissenschaftlich und instrumentell weiter ausgereifte Wirtschaftspolitik, hier jedoch bezogen auf Regionen und raumrelevante Themen wie Landschaft, Flächennutzung und andere Raumfunktionen.

Das System der Raumordnungspolitik ist ein (gedankliches) Ziel-Mittel-System.

Das Zielsystem ist hierarchisch aufgebaut und gliedert sich in Grundsätze, Ober- und Unterziele. Die Ziele werden von der Politik vorgegeben; aber die Wissenschaft beteiligt sich an der politischen Diskussion um die Aufstellung und Weiterentwicklung eines raumordnungspolitischen Zielsystems.

 

"Instrumentarium" der Raumordnungspolitik:

- räumliche Organisationsmittel (Zentrale Orte, Achsen, Regionen usw.);

- Mittel der direkten Raumgestaltung (Gestaltungsmittel): Infrastruktur, Gewerbeparks;

- Zwangsmittel (insb. Festlegung von Flächennutzungen, sonstige Ge- und Verbote),

- Anreiz- bzw. Abschreckungs- und Anpassungsmitel (sog. "Incentives" wie Investitions-

zuschüsse oder "Disincentives" wie Parkraumbewirtschaftung oder Road Pricing);

- Information und Kommunikation (Informationsflüsse zwischen staatlichen Stellen sowie
zwischen staatlichen und privaten Stellen);

- Pläne und Programme als Instrumente;

- Verteilung der Finanzmittel auf die Träger der Raumordnungspolitik (einschl. vertikale und

horizontale Finanzausgleiche).

 

Raumplanung als Produktion von Standorten (Bökemann)

Text:

Bökemann, Dieter (1982): Theorie der Raumplanung. Regionalwissenschaftliche Grundlagen für die Stadt-, Regional- und Landesplanung. München: Oldenbourg. 477 S.

Ausgangspunkt: Unzufriedenheit mit der Theoriearmut und dem Inkrementalismus der raumplanerischen Praxis. Da sich die Raumplanung zunehmend als eigene Disziplin formiert, benötigt sie eine theoretische Basis. Dafür reicht aber die der traditionellen Neoklassik verhaftete Theoriebildung der regional science (z.B. W. Isard) nicht aus; sie sind vielmehr durch eine Einbeziehung von Denkansätzen der Neuen Politischen Ökonomie (z.B. B. Frey) und Ansätzen aus anderen Wissenschaften (Politikwiss., Soziologie, Geographie) zu ergänzen.

Kernthesen:

Darauf aufbauend wird eine politisch-ökonomische Theorie der Standortproduktion und der gerechten Standort und Siedlungsstruktur in einem Staat entworfen.

 

Raumplanung als politischer Prozeß (Hübler, Fürst u. Selle)

 Anforderungen an eine zukunftsorientierte Raumplanung (nach K.-H. Hübler, verändert)

Aspekt

Derzeitige traditionelle Raumplanung

Erforderliche zukunftsorientierte Raumplanung

sachlich Raum wird verstanden als "Nutzungsraum" und als "Behälter" von Standorten menschlicher Tätigkeiten Daneben müssen die Erhaltungs- und Stabilisierungsrechte gleichberechtigt mit berücksichtigt werden
zeitlich Lineare Folge von Plan und Realisierung ohne Langfristbetrachtung Neben- und Folgewirkungen von Entscheidungen sowie intergenerativen Interessensausgleich beachten
räumlich Inselplanung Auswirkungen in benachbarten Planungsräumen und global beachten , Gedankenmodell "Umweltraum"
institutionell Raumplanung als hoheitliche Staatstätigkeit geplante und programmierte Gemeinschaftsaufgabe von Staat, Bürgern und anderen Akteuren (Verbände, Unternehmen usw.) mit Partizipation und Rückkopplung

 

Probleme der "traditionellen Planung":

Grundlagenprobleme:
undemokratisch Macht der Verwaltung
autoritär Gott-Vater-Modell der Planung
zweckrational szientifische, instrumentelle Rationalität
Anwendungsprobleme:
unterkomplex informationelle Überforderung
Scheitern von Planungen
Umsetzungsdefizit unflexibel

Traditionelle Planung        Diskursive Planung
Chancen
zweckrational diskursive Rationalität (Ideen, Normen,
Interessen)
Moderation des Lösungssuchprozesses
unterkomplex komplexe Planungs- und Kommunikations-
techniken
Umsetzungsdefizit umsetzungsorientierte Projekte,
Aktionsprogramme
Probleme
autoritär Konsens/Dissens von Individual- u. Gruppen-
interessen
undemokratisch Wessen Stimmen werden gehört im Diskurs?

 

Raumplanung in der Postmoderne bzw. im Postfordismus

Der programmatische Titel dieses Abschnitts setzt voraus, daß es tatsächlich eine Ära der "Postmoderne" gibt, die "die Moderne" inzwischen abgelöst habe. Hierzu gibt es zwei einflußreiche Deutungsangebote:

 1) Moderne - Postmoderne;

Varianten: Moderne- Spätmoderne (A. Giddens) oder reflexive Moderne (U. Beck);

2) Fordismus - Postfordismus (Theorie der Regulation)

Zu 1) Konzept der "Postmoderne":

Entwickelt vor allem in der Architektur, Kunst, Philosophie und Soziologie. Deutung der kulturellen Entwicklung in der Weise, daß die "Erzählungen" des Projekts der Moderne ihre Überzeugungskraft verlieren. An deren Stelle tritt nun aber keine neue "Mega-Erzählung" mit kultureller Hegemonie, sondern eine Vielfalt neuer und teilweise auch alter, bisher unterdrückter "Erzählungen". Für unseren Zusammenhang ist weniger das philosophisch-epistemologische Postmoderne-Konzept relevant als vielmehr das postmoderne Denken in der Architektur, Soziologie und Humangeographie.

Ästhetik:

Formensprache der "Moderne" war abgeleitet aus der Hegemonie der Funktion.

Leitgedanke der Bauhaus-Ästhetik: Schön ist das, was funktional ist; Schmuck ohne Funktion ist Kitsch. Der Siegeszug der "modernen Architektur" ("internationaler Stil") mit klaren kubistischen Formen, glatten Fassaden und Verzicht auf Ornamente führte jedoch in den 70er Jahren zum Umkippen des ästhetischen Empfindens: gründerzeitliche Stuckfassaden wurden rehabilitiert; es wurde "in", Kitsch schön zu finden; Neubauten wurden zunehmend mit funktionslosen Ornamenten versehen, teils als historische Stilzitate, teils mit einer neuen phantastischen Formensprache.

Soziologie-Politik:

Die philosophische Grundlage der Moderne ist die Aufklärung, deren Maxime Kant auf den Punkt gebracht hat: Durch den "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" kann er mit Hilfe seiner "ratio" die wesentlichen Probleme des menschlichen Zusammenlebens lösen: durch eine rationale Politik, durch eine rationale Ökonomie, durch technischen Fortschritt. Dies ist das "Projekt der Moderne". Heute ist das gesamte wissenschaftlich-technische System immer mehr in die Defensive geraten: Neben allen unbestrittenen Fortschritten sind gerade auch durch den technischen Fortschritt neue Risiken und Probleme entstanden: riskante Großtechnologien wie Atom- und Biotechnologie, neue Probleme wie Umweltbelastung, anthropogener Klimawandel usw.

Folge: Der aufklärerische Fortschritts-Optimismus hinsichtlich technischem Fortschritt und gesellschaftlichem Fortschritt ist brüchig geworden. Für die Politik ist der Zerfall des Fortschritts-Optimismus in zweierlei Hinsicht zentral:

1) der durch Fortschritt und Modernisierung geprägte bisherige grundsätzliche Ziel-Konsens schwindet;

2) die bisher selbstverständliche Annahme einer rationalen Gestaltbarkeit von Gesellschaft und Raum schwindet.

 

Humangeographie:

Insbesondere im anglo-amerikanischen Raum viel diskutierte These: Humangeographie kann eine zentrale Position in den postmodernen Sozialwissenschaften erhalten. Zwei wirkungsvolle "Narrative der Moderne": a) Marxismus, b) Naturalismus/Positivismus, beide führten zu einer Unterordnung des Raums in der Gesellschaftswissenschaft. Grund: Geographie wurde nicht als "gemachte Geographie", als sozial produzierter Raum aufgefaßt, sondern als physischer Hintergrund, der mit der Zurückweisung des Umweltdeterminismus uninteressant wurde. Weiterer Grund: Annahme der Moderne, daß regionalistische Bewegungen grundsätzlich reaktionär sind. - Entwicklung der Geographie: im 20. Jh. weitgehende Abkoppelung von der gesellschaftswissenschaftlichen Theoriebildung, Rückzug auf Faktendeskription und vordergründige "Anwendung" für Militär, Planung etc.

Erster zentraler Ansatz: Landschaften und Orte sind konstruiert durch Akteure, die unter bestimmten wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, jedoch in der Regel nicht selbst gewählten Umständen handeln. Landschaften werden "gelesen", so daß das Problem der (kulturellen) Repräsentation entsteht. Landschaft als kulturelles Zeichensystem im Spannungsverhältnis zum Politischen, Wirtschaftlichen etc. Obwohl eine umfangreiche theoretische Literatur zur Ästhetik existiert und andererseits das 'Lesen' und 'Deuten' von Landschaft in der Geographie eine große Tradition hat (die allerdings um 1970 abbrach), ist eine Methodologie des Erlebens ästhetischer Umwelten kaum ausgebildet. Ein solches kritisch-hermeneutisches Programm müßte Subjektivität bewußt zulassen.

Zweiter Ansatz: Postmoderne mißtraut universellen "Metaerzählungen" und bestreitet die Möglichkeit genereller Erklärungen in den Sozialwissenschaften. Deshalb sind nur geographisch singuläre Beschreibungen ("dichte Beschreibungen" im Sinne von C. Geertz) möglich. Dafür vier Anforderungen: Komplexität, Kontextualität, Kontingenz und Kritikalität. Postmoderner Regionalismus überwindet nomologische Theorien (wie neoklassische Standorttheorien, aber auch politökonomische Theorien wie die Theorie des Postfordismus) und betont, daß "Regionen" in ihrer individuellen Komplexität ernstgenommen werden müssen; sie selbst beeinflussen nicht nur, was wir wissen, sondern auch wie wir etwas wissen. Beispiel: Armut in New York ist etwas fundamental Verschiedenes gegenüber Armut in London oder Mexiko.

 

Zu 2) Konzept des Postfordismus

Das Konzept ist Teil einer weiter gespannten Theorie (besser: Familie verwandter Theorien), der sog. "Regulationstheorie". In polit-ökonomischer, insb. marxistischer Denktradition geht diese Theorie von einem engen Nexus zwischen dem historisch konkreten Regelsystem der Ökonomie eines Landes ("Akkumulationsregime") und dem historisch konkreten Regelsystem der Gesellschaft des betreffenden Landes ("Regulationsmodus") aus. Die Entwicklung von Ländern wird geprägt durch Phasen relativer Stabilität, in denen Akkumulationsregime und Regulationsmodus aufeinander abgestimmt und fest miteinander verknüpft sind, sowie krisenhaften Phasen des Umbruchs.

Beispielsweise war die Epoche des Fordismus (benannt nach Henry Ford, der zu Beginn der 20er Jahre erstmals das Fließband in der Automobilproduktion einführte und das Auto damit zu einem erschwinglichen Massen-Konsumgut machte) geprägt durch einen strukturellen Zusammenhang zwischen dem Akkumulationsregime (Massenfertigung zur Ausnutzung von Skalenerträgen, Großbetriebe, hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad, relativ gesicherte Arbeitsverhältnisse) und dem gesellschaftlichen Regulationsmodus (ausgebaute soziale Sicherungssysteme, standardisierte Massenkonsumstile, starre Zeitordnungen usw.).

 

Historische Entwicklungstypologie:

Zeit Akkumulationsregime Regulationsmodus Arä
bis ca. 1850 Handwerkliche Einzelfertigung "Nachtwächterstaat" Ständische Gesellschaft ?
bis ca. 1925 Kleinindustrielle Serienfertigung Liberalismus Klassengesellschaft Manchester-Kapitalismus
bis ca. 1975 Großindustrielle Massenfertigung Wohlfahrtsstaat Mittelstandsgesellschaft Massenkonsum Fordismus
seit 1975 Flexible Spezialisierung? Neo-Fordismus? Unternehmer-Staat ? Pluralisierung der Lebensstile? Postfordismus

Entwurf: H. H. Blotevogel 1998

 

Regulationstheoretische Interpretation des Übergangs vom "Fordismus" zum "Postfordismus"

Rigides Akkumulationsregime und "fordistischer" Modus der sozialen Regulation

Flexibles Akkumulationsregime und "postfordistischer" Modus der sozialen Regulation

Produktionsprozeß

Basis: Economies of scale Basis: Economies of scope
Massenproduktion homogener,standardisierter Produkte Flexible Produktion heterogener Produkte in kleinen Losgrößen
Umfangreiche Lagerhaltung Geringe Lagerhaltung
Qualitätssicherung ex-post Qualitätssicherung integriert
Vertikale Integration Vertikale Desintegration
Unternehmen als autonome Akteure im Wettbewerb Neue Formen der zwischenbetrieblichen Kooperation und Abhängigkeit

Arbeit

Funktionale räumliche Hierarchien Regionale Cluster und Netzwerke
Homogene regionale Arbeitsmärkte (interregionale Segmentierung) Intraregional (und interregional) segmentierte Arbeitsmärkte
Weltweite Zulieferbeziehungen Regional spezialisierte Wertschöpfungsketten
Zeitliche Abfolge von Urbanisierung und Suburbanisierung Gleichzeitigkeit von Suburbanisierung, Desurbanisierung und Reurbanisierung
Sozial integrierte "Mittelschicht-Stadt" Sozialräumliche Desintegration der Städte ("Drei Stadtwelten")
Stadt als "funktionierendes System" Stadt als "Bühne" und "Arena"
Welt als Mosaik von Nationalstaaten, Nationalkulturen und Volkswirtschaften Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Regionalisierung der Ökonomie, Politik und Kultur
Hierarchischer Staatsaufbau (Nationalstaat-Gemeinden) Fragmentierte Staatstätigkeit, intermediäre regionale Organisationen
Staat
Kollektives Handeln (und Verhandeln) Individualisiertes Handeln (lokales und firmenbezogenes Verhandeln)
Wohlfahrtsstaat (Sozialisierung der Wohlfahrt) "Unternehmer"-, "Nachtwächter"- und Suppenküchen"-Staat
Zentralisierung (Nationalstaat) Dezentralisierung (Gemeinden, Regionen)
Staat und Stadt als Versorger Staat und Stadt als Unternehmer
Raumordnung und Landesplanung Flexible Entwicklungspolitik
Indirekte Steuerung der Wirtschaft (Globalsteuerung) Direkte Staatsinterventionen (Projektförderung und Projektmanagement)
Nationale Regionalpolitik Regionalisierte Strukturpolitik
Ideologie / Kultur / Verhaltensnormen
Massenkonsum von standardisierten Konsumgütern: "Mittelschicht-Kultur" Heterogene Konsummuster, insb. von Dienstleistungen: u.a. "Yuppie-Kultur"
Homogener Lebensstil ("Normalität" als kulturelle Norm) Heterogenität der Lebensstile (Vielfalt der Kulturen)
Starre Zeitregimes (Arbeiten,Schlafen, Einkaufen etc.) Flexible Zeitstrukturen
Normhaushalt Kleinfamilie "Neue Haushaltstypen" (Singles, Partnerschaften auf Zeit usw.)
"Moderne" "Postmoderne"
Ideologie: Sozialisierung, Gleichheit Ideologie: Individualisierung, Freiheit

Entwurf: H. H. Blotevogel in Anlehnung an F. Moulaert und E. Swyngedouw 1989.

Am eingehendsten haben sich die Regulationstheoretiker mit dem Übergang vom Fordismus zum Postfordismus befaßt. Sie argumentieren, daß sich das fordistische System seit 1975 in der Krise und partiellen Auflösung befindet. Allerdings zeichnen sich die Konturen eines neuen postfordistischen System noch nicht eindeutig ab. Die bisherigen Deutungsversuche sind eher widersprüchlich.

Wenn diese Interpretation stimmt, dann haben sich wesentliche Randbedingungen der Raumplanung verändert, und ihre Rolle muß grundsätzlich neu bestimmt werden.

 

H. H. Blotevogel: Zur Neuorientierung der Raumordnungspolitik heute

(Auszüge aus einem unveröffentlichten Vortragsmanuskript)

Ausgangspunkt: weitgehende Einigkeit unter Politik- und Sozialwissenschaftlern, daß die Rolle des Staates und des staatlichen Handelns generell gegenwärtig einer weitreichenden Revision unterworfen ist. Die wichtigsten Hintergründe dafür:

1) Internationalisierung und Globalisierung der Ökonomie. Mit dem Argument der globalen Wettbewerbsfähigkeit entzieht sich die Ökonomie de facto der politischen Steuerbarkeit und wird autonom, während andererseits die Politik erpreßbar wird. Die Folge ist eine Ökonomisierung des politisch-administrativen Handelns.

2) Krise des Nationalstaates. Zwar geht Kenichi Ohmae (1995) wohl entschieden zu weit, wenn er schon das "End of the Nation State" konstatiert, aber ein relativer Bedeutungsverlust der Nationalstaaten ist - zumal in Europa - unübersehbar. Die Idee des Nationalstaates entstammt bekanntlich dem 18. und 19. Jahrhundert und beruht auf dem Axiom, daß sich die Menschheit in natürliche homogene, territorial abgrenzbare Nationen aufgliedert und daß jede Nation ihre politischen Angelegenheiten in einem Staat umfassend organisiert. Diese Vorstellung der Welt als eines Mosaiks von autonomen Nationalstaaten ist heute illusionärer denn je. Vor allem in Europa gerät der Nationalstaat in eine sog. "Sandwich-Position" zwischen der europäischen Ebene einerseits und der lokal-regionalen Ebene andererseits. Idealtypisch zugespitzt: Der monolithische Nationalstaat wird ersetzt durch ein komplexes föderales Mehr-Ebenen-System, in dem die Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip verteilt sind.

3) Verlust staatlicher Durchsetzungs- und Gestaltungsmacht als Ergebnis der fortschreitenden funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Das Politische wandert aus den offiziellen Arenen - Parlament, Regierung, politische Verwaltung - in die Grauzone des Korporatismus ab. Habermas (1985) mein etwas Ähnliches, wenn er von der "Neuen Unübersichtlichkeit" spricht. Einerseits stößt die Politik mit dem Ausbau des keynesianischen Sozialstaates an ihre Grenzen, andererseits fällt die gesellschaftliche Gestaltungsmacht immer mehr der Forschung, der Technologie und der Wirtschaft zu. Dadurch wandert die Politik in die "Subpolitik" der Verbände, der Wirtschaft etc. ab. Die "neue Gesellschaft" wird nicht mehr durch parlamentarische Debatten gestaltet, sondern durch die technisch-wirtschaftliche Umsetzung von Mikroelektronik, Informationsmedien usw. geprägt.

4) In der "Spät-" oder gar "Postmoderne" ist der Staat nicht mehr der umfassend vorsorgende und regulierende Leistungsstaat, der straff hierarchisch organisiert ist und dessen Handeln durch ein konsistentes Zielsystem gesteuert würde. Die öffentliche Hand differenziert sich vielmehr ebenso wie die Gesellschaft insgesamt immer mehr in eine Vielzahl teilautonomer Einheiten aus, die in der politischen Arena als Akteure mit eigenen Zielen und Interessen auftreten. Wenn die politischen Akteure in dieser Arena Erfolg haben wollen, müssen sie sich von der Illusion eines übergreifenden konsistenten Ziel-Mittel-Systems verabschieden und statt dessen in das politische Spiel der Arena eintreten. Dabei sind zwei Grundregeln zu beachten: Erstens muß man die Spielregeln der Arena beherrschen - das meint insbesondere die Spielregeln der Kommunikation. Zweitens muß man bereit sein, flexibel Handlungskoalitionen auf Zeit zu bilden, um sich gegenüber anderen Akteuren durchzusetzen.

5) Einen Schritt weiter geht die sog. Regulationstheorie mit ihrer Unterscheidung zwischen der Nachkriegsära des "Fordismus" und der um die Mitte der 70er Jahre einsetzenden Ära des "Postfordismus". Ein Charakteristikum der "postfordistischen Ära" ist die Krise der staatlichen Steuerungsfähigkeit und die daraus resultierende Diskussion um eine Neubestimmung der öffentlichen Planung und speziell der Landes- und Regionalplanung. Allerdings sollte man an Stelle der weitreichenden Annahme einer "Krise der staatlichen Steuerungsfähigkeit" vielleicht besser etwas präziser formulieren "Krise der traditionellen staatlichen Steuerungsformen", denn es ist eine durchaus unbewiesene Annahme, daß die staatliche Steuerungskapazität in der Ära des Fordismus generell größer war als heute.

Damit bedarf auch das traditionelle landes- und regionalplanerische Instrumentarium mit seiner ausdifferenzierten rechtsverbindlichen Normenhierarchie von Grundsätzen und Zielen sowie vor allem einer Steuerung der Landes- und Regionalentwicklung über räumlich konkretisierte Funktions- und Nutzungszuweisungen einer grundsätzlichen Revision. Das administrativ aufwendige und zeitraubende Verfahren der Aufstellung und Novellierung von rechtsverbindlichen Programmen und Plänen hat sich nicht nur als unflexibel erwiesen, sondern auch nicht die praktische Wirksamkeit entfaltet, die zu Zeiten der Etablierung des Systems in der Zeit der Planungseuphorie zwischen 1964 und 1974 erwartet wurde.

Darüber hinaus war das traditionelle Instrumentarium der Raumplanung im wesentlichen im Sinne einer "passiven Lenkung", d.h. einer Steuerung von Standortentscheidungen über raumdifferentielle Privilegierungen und Diskriminierungen, angelegt. Dadurch geriet die traditionelle Raumordnung in eine wenig glückliche Asymmetrie, denn mit ihrem Instrumentarium konnte sie zwar - bestenfalls - einige negative Entwicklungen verhindern, aber kaum neue positive Entwicklungen anstoßen und voranbringen. Diese Defizite führten zu der gelegentlichen Einschätzung der Raumordnung als einem der tatsächlichen Entwicklung lediglich hinterherlaufenden "Raum-Notariat" und - schlimmer noch - als einer neue Entwicklungen blockierenden "Verhinderungs-Planung".

Es wäre jedoch kurzschlüssig und in Anbetracht drohender Fehlentwicklungen (Zersiedlung, Verkehrszunahme, Freiraumverbrauch, Hemmnisse des Strukturwandels, Verlust der Standortattraktivität usw.) geradezu fatal, im Zuge einer naiven Deregulierungseuphorie die Instrumente der Raumordnungspolitik einfach abzuschaffen. Die Resultate einer neoliberalen Politik des Reaganismus und Thatcherismus sind m.E. alles andere als überzeugend. Es kann weder um ein krampfhaftes Festhalten am traditionellen Wohlfahrtsstaat mit seinem rigiden fordistischen Raumplanungssystem gehen noch um eine bedenkenlose neoliberale Deregulierung, bei der die Raumplanung entweder zu einer prinzipienlosen Inkrementalismus degeneriert oder gleich ganz abgeschafft wird.

Entscheidend ist vielmehr eine Neubestimmung des staatlichen Handelns vor dem Hintergrund der tiefgreifend veränderten Bedingungen und in sozialer und ökologischer Verantwortung. Für die Raumordnungspolitik bedeutet dies, daß - neben einer gewissen Entfeinerung und Flexibilisierung des bestehenden landes- und regionalplanerischen Instrumentariums - zwei zentrale Innovationen die gesamte "Kultur" der Raumplanung verändern:

Erstens ist das Selbstverständnis der Landes- und Regionalplanung stärker an einer aktiven Entwicklungsplanung auszurichten. Dabei müssen die wesentlichen Grundsätze und Inhalte von "Entwicklung" selbstverständlich politisch und sinnvollerweise auch durch mittelfristig fixierte Rechtsnormen vorgegeben werden. Aber in der administrativen Praxis sollte versucht werden, die genannten strukturelle Asymmetrie zugunsten einer vorwärts gerichteten Entwicklungsplanung aufzuheben. Das meint eine stärkere Orientierung des raumordnungspolitischen Denkens und Handelns an der Aufstellung von Entwicklungs-Leitbildern, an der Erarbeitung von Handlungsstrategien und an der Initiierung und Umsetzung von konkreten Projekten. Die Raumordnungspolitik wandelt sich damit zu Akteuren des Regional-Managements (Fürst).

Zweitens wandelt sich mit dem veränderten Selbstverständnis der Raumplanung auch die Art ihrer Tätigkeit. Anknüpfend an die planungspolitischen Diskussionen aus den achtziger Jahren um die Nutzung endogener Potentiale wird in der aktuellen planungspolitischen Debatte einer Einbeziehung und Mobilisierung der regionalen Akteure ein hoher Stellenwert eingeräumt. Durch Regionalkonferenzen, regionale Entwicklungskonzepte usw. soll auf der regionalen Ebene ein Konsens über Ziele, Strategien und Maßnahmen der Regionalentwicklung erreicht werden. Ein solcher Modus einer diskursiven, konsensorientierten Planungspolitik verzichtet darauf, die technokratische Rationalität der Planer - gegebenenfalls durch harte Ge- und Verbote - in die Realität umzusetzen, sondern versucht, die Interessen und Handlungsziele der für den Prozeß der Regionalentwicklung wesentlichen Akteure soweit wie möglich einzubeziehen, aufeinander abzustimmen und in praktisches Handeln umzusetzen. Die Raumordnungspolitik kann hier als Moderator bei der Erarbeitung von Leitbildern und Entwicklungsstrategien und bei der Realisierung von Leitprojekten mitwirken. Die Vorsilbe "Leit"- deutet in diesem Zusammenhang an, daß nicht nur das Ergebnis zählt, sondern auch die konsensstiftende Form der diskursiven Erarbeitung, denn ihre volle Wirksamkeit können diese neuen Formen der kooperativen Politik erst entfalten, wenn sie nicht nur die Behördentätigkeit des öffentlichen Sektors, sondern auch das Denken und Handeln der privaten Akteure (Unternehmen, Verbände, Arbeitnehmer, private Haushalte) koordinierend beeinflussen.

Dietrich Fürst hat diese Aufgabe folgendermaßen umschrieben (1995, S. 13): "Wir benötigen regionale ‘Spielmacher’, die in der Lage sind, problemspezifische Netzwerke zu initiieren, möglicherweise auch zu moderieren, zumindest aber die erforderlichen Organisations- und Orientierungsleistungen sicherzustellen, die ‘vernetztes’ regionales Handeln ermöglichen." Wer konkret die Aufgabe solcher "Spielmacher" übernehmen könnte - der Raumordner der Landesregierung, kommunale Vertreter oder externe Moderatoren -, ist damit noch nicht gesagt.

Jedenfalls kommt der Region in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion als indentifikationsfördernder Raum zu; denn eine regionale (statt lokale und statt staatliche) Orientierung des Denkens und Handelns kann die Lösung der zahlreichen Probleme, die weder im kommunalen Raum allein noch durch staatliches Handeln "von oben" allein gelöst werden können, erleichtern. Zu nennen sind hier beispielsweise der öffentliche Nah- und Regionalverkehr, Wirtschaftsförderung und Standort-Marketing, Infrastrukturprojekte (Flughäfen, Güterverkehrszentren usw.), regionale Freiflächenpolitik, regionales Siedlungs- und Gewerbeflächen-Management usw. (Fürst 1991, 1993).

Damit würde die Raumordnung ihr Selbstverständnis ziemlich grundlegend ändern und sich jenseits von gesetzlichen Normen und verbindlichen Programmen und Plänen zu einer prozeßorientierten, moderierenden Tätigkeit im Sinne eines raumbezogenen Entwicklungs-Managements bekennen. In diesem Selbstverständnis spielt die "weiche" Koordination des raumwirksamen Handelns der für den Prozeß der Landes- bzw. Regionalentwicklung wesentlichen Akteure eine zentrale Rolle. Wenn deren Handeln aber nun nicht mehr mit der "Brechstange" der Rechtsnormen, sondern "nur" noch mit "weichen" Anreizmitteln und vor allem mit überzeugungsfähigen Argumenten beeinflußt werden kann, wird Planung zu einem wesentlichen Teil "Kommunikation".

Ein großes Dilemma der "kommunikativen Raumordnungspolitik" liegt darin, daß ihre Themen für die politische Alltagskommunikation zu abstrakt sind. Im Unterschied zur Stadtplanung geht es ihr in der Regel nicht um konkrete Projekte, die sich anschaulich visualisieren lassen, sondern um allgemeinere raumbezogene Ordnungsvorstellungen und Entwicklungsperspektiven, deren Kommunikation ein erhebliches Abstraktionsvermögen voraussetzt. Schon die hochspezialisierte Fachsprache der Raumordnung verweist darauf, daß es sich hier um einen Experten-Diskurs handelt. Wenn Landes- und Regionalplanung jedoch eine Zukunft haben wollen, müssen sie aus dem Ghetto des Experten-Diskurses ausbrechen und versuchen, Teil des öffentlichen politischen Diskurses zu werden.

In dieser Perspektive kann den Leitbildern eine zentrale Rolle zuwachsen: Aufgrund ihres Charakters als mittel- bis langfristig angelegte normative "Bilder" der Landes- und Regionalentwicklung sind sie einerseits anschaulich genug, um abstrakte raumordnungspolitische Grundsätze und Ziele kommunizierbar zu machen. Sie sind andererseits allgemein genug, um in ihnen noch den Bezug zu generellen politischen Normen zu erkennen, um ein Abgleiten in einen prinzipienlosen Inkrementalismus, der letztlich nur den mächtigsten Pressure Groups das Feld überläßt, abzugleiten. Leitbilder können also gewissermaßen eine Brücke zwischen der projektbezogenen Handlungsebene einerseits und der abstrakten Zielebene andererseits herstellen.

In ähnlicher Form spricht Andreas Faludi (1996) von "framing with images" und meint damit das Kommunizieren in der politischen Öffentlichkeit über normative Raum-Bilder, die jenseits rechtlicher Normen aufgrund ihrer Plastizität und Plausibilität eine Überzeugungskraft und damit eine handlungslenkende Funktion entwickeln können. Das niederländische Konzept der "Randstad" mit einem "grünen Herz" ist ein solches, geradezu suggestiv wirkendes Raum-Bild.

Vielleicht können Leitbilder die Raumplanung wieder politisch diskursfähig machen. Die traditionelle Situation hat Thomas Sieverts im Blick, wenn er schreibt (1996, S. 15): "Die raumordnerische Konzeption der ‘dezentralen Konzentration’ wird fast nirgendwo verwirklicht. ... Raumordnung und Landesplanung sind politisch unwirksam, aber auch intellektuell ausgetrocknet: Sie gehen von Wunschbildern aus, denen die sozio-ökonomische Wirklichkeit in keiner Weise entspricht."

Vielleicht übertreibt Sieverts hier etwas, aber er hat in einem Punkt sicher Recht: Es genügt nicht, das Konzept der dezentralen Konzentration einfach zu einem Ziel oder Leitbild zu erklären und dann darauf zu warten, daß sich alle danach richten. Das Konzept der dezentralen Konzentration ist im wesentlichen ein Element des Experten-Diskurses. Es muß erst noch in plastische Raum-Bilder übersetzt werden, um politisch und alltagsweltlich diskursfähig zu werden.

Hier könnten Erfahrungen des Geo-Designs wie z.B. die insofern sehr erfolgreiche "blaue Banane" des französischen Kollegen Roger Brunet helfen. Solche Raum-Bilder sind natürlich etwas ganz anderes als traditionelle Planungskarten.

Vgl. dazu auch:

Weichhart, Peter (1997): Sozioökonomische Rahmenbedingungen der "Neuen Regionalplanung". In: SIR-MB 25/1997, S. 9-21.

Neue Rahmenbedingungen der Globalisierung, der Städte- und Regionen-Konkurrenz sowie der Herausbildung von politischen Mehr-Ebenen-Systemen führen zur Notwendigkeit der Revision der traditionellen Regionalplanung: Grundlegende Veränderungen der ökonomisch-sozialen-politischen Struktur, wie sie von der Regulationstheorie als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus gedeutet werden. 1) Grenzen zwischen Regionalpolitik und Raumordnungspolitik lösen sich auf; Regionen werden zu Akteuren, die auf internationalen Märkten operieren, und zugleich zu "Produkten". 2) Subsidiarisierung der Politik führt zu einer Aufwertung der regionalen Ebene auf Kosten der Nationalstaaten, aber auch der Gemeinden. 3) Anstelle der zentralstaatlichen Verteilung zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen und des Selbstverständnisses der Raumordnung als einer "Ordnungsplanung" (S. 18) rückt die aktive regionale Strukturpolitik in den Vordergrund. 4) Der Begriff "Region" ist grundsätzlich offen, doch sollte für die aktive regionale Entwicklungspolitik eine Angleichung der politischen Handlungsräume an die derzeitigen Funktionsräume erfolgen. S.19: Offene Aufgaben: 1) Flexibilisierung der Planung statt starrer Verordnungsplanung; 2) Wie können die neuen Formen implementiert werden, ohne sie zugleich zu starr, z.B. durch Gesetze festzuschreiben? 3) Kann die Raumordnung diese neuen Funktion ausüben? 4) Sind die Akteure von dieser neuen politischen Querschnittsmaterie überzeugt, so daß Ressort-Egoismen überwunden werden können? 5) Wie können formaljuristische und sophistische Auseinandersetzungen durch sach- und problemangemessene Begründungszusammenhänge ersetzt werden? 6) Wie kann das lokale Kirchturmdenken zu regionalem Denken erweitert werden?