Neulich in der Schmiede

„Unter den kreativen Hinterhofschraubern des Ruhrgebiets der 70/80ger Jahre war bereits bekannt, das man sich einen feuchten Furz um die Meinung anderer kümmern sollte. Denn man wusste, dass man sich im Zweifel am Ende vor den Vertretern der grünen Trachtentruppe immer in eigener Verantwortung für seine Aufbauten und auf die Straße gebrachten Ideen gerade zu machen hatte. Eine Einstellung, die die Schrauber dieser Zeit auszeichnete und für die ich sie bis in die Gegenwart hinein schätze. Denn was damals galt, das hat auch heute noch Bestand!“

Möglicherweise wird es dem einen oder anderen aus eigener Erfahrung bekannt vorkommen und er wird die in diesem Text beschriebene gedankliche Rast- und Ruhelosigkeit kennen.

Schlaflos über lange Nachtstunden grübelnd, hängt man an einem diffusen Gedankengang und stellt Überlegungen an, wie auf dem Weg eines Projektes das eine oder andere Problem zu lösen sei.

Dieses Grübeln führt einen mitunter bis zur, in Resignation geschlagenen Aufgabe des gesamten Projekts, oder auf der anderen Seite zum positiven Empfinden eines glückseligen Zustands erleuchtungsgleichen Wissens, unter dessen Eindruck die Gedankenblase platzt und man die Lösung seines Problems präzise und nahezu greifbar vor Augen hat. Einzig, es fehlt an den handwerklichen Fähigkeiten oder der maschinellen Grundausstattung seine Idee seinen Vorstellungen entsprechend umsetzen, sprich realisieren zu können.

Also begibt man sich, bevor sich die Idee im Kopf wieder zu verflüchtigen beginnt, dem allgegenwärtigen Baumarkteinheitsbrei zum Trotz auf die Suche nach einem Handwerker alten Schlages. Einem Fachmann der sein Handwerk versteht und darum in der Lage sein sollte, der fragilen Blase einer theoretischen Idee eine reale Gestallt zu verleihen.

„Geht nicht!“, zwei einfache Worte schlichten Inhalts, die das Ergebnis nächtelanger Überlegungen zum Scheitern verurteilen.

„Wie? Geht nicht?“ Im Bereich der Metallbearbeitung und der Umsetzung von technischen Problemlösungen, halte ich mich nicht gerade für eine besondere Leuchte und vor allem diese realistische Selbsteinschätzung, führt mich bei Aussagen wie „Geht nicht!“ auf kürzestem Wege in eine tiefe Sinnkrise.

Wenn es mir als technischen Laien gelingt, mir eine Problemlösung vorzustellen und ich diese, das dazu nötige Fachwissen und den entsprechenden Maschinen vorausgesetzt, für realistisch umsetzbar halte, scheint mir ein „Geht nicht!“ aus dem Munde eines handwerklichen Vollprofis nicht nur wenig akzeptabel, sondern empfinde es darüber hinaus wie einen Schlag in das Gesicht meiner Vorstellungskraft.

Nun, das dieses „Geht nicht!“ im Grundsatz nichts mit einer tatsächlich unmöglichen Umsetzung meiner Idee zu tun hat und vielmehr mit dem weiterführenden Gedanken eines „Möglicherweise zu Teuer!“, eines „Möglicherweise zu Zeitintensiv!“ oder eines „Möglicherweise kein Interesse!“ in Verbindung zu bringen ist, der sich aus einer sich über Jahrzehnte entwickelnden verbalen und vor allem finanziellen Abwertung der Leistung eines Fachmanns, bei gleichzeitiger „Geiz ist Geil!“ Grundhaltung und der daraus resultierenden Trotzhaltung auf Seiten des Fachmanns gegenüber individueller Problemlösungsstellungen ergibt, wäre ein durchaus überdenkenswertes Thema der Motorradphilosophie, soll jedoch an dieser Stelle nur bedingt thematisiert werden.

Da sich mein AWO Projekt, das ich an anderer Stelle ebenso wie den oben angestoßenen Gedanken noch ausführlich beschreiben werde, aus verschiedenen Gründen auf für mich nicht länger zu tolerierende Weise zu verschleppen begann, sah ich mich gezwungen, meine Gedanken mehr und mehr in Richtung eines „Selbst ist der Mann!“ zu entwickeln.

Den finalen Ausschlag, das Eisen endlich selbst in die Hand zu nehmen, gab die Idee einer kleinen Strebe und eben genau dieses „Geht nicht!“, das in zunehmenden Maße so ganz und gar nicht länger mit den Inhalten meiner Vorstellungskraft in Einklang zu bringen war.

Am Modell der AWO 425 Touren findet sich an der Aufnahme des Hinterrades eine Geradeweg-Federung. Eine Federung, die bei wohlwollender Betrachtungsweise die Optik eines starren Rahmens suggeriert und trotzdem einen, wenn auch überaus geringen Grad an Bequemlichkeit bietet und von mir unter anderem aus diesen beiden Gründen als Basis für mein Projekt gewählt wurde. Um das Ganze ein wenig aufzupeppen, kam mir die Idee das obere Rahmenrohr im Bereich der hinteren Federung zusätzlich über eine Strebe mit dem unteren Rahmenrohr zu verbinden. Und damit diese relativ kurze Verbindung auch optisch etwas hermachte, sollte diese meiner Vorstellung entsprechend gegenläufig gedreht ausgeführt werden.

Um es noch einmal deutlich zum Ausdruck zu bringen, die Rede ist hier nicht von der Umsetzung einer mechanisch/technischen Meisterleistung, hier ging es um eine schlichte Strebe. Um nichts weiter als ein simples Stück 10 mm Vierkanteisen mit einer Länge von etwa 120 mm, das aus der Mitte heraus zwei- bis dreimal gegenläufig gedreht werden sollte.

Im Prinzip schien die technisch Umsetzung der von mir beschriebenen Idee zunächst keine besondere Herausforderung an den Fachmann darzustellen. Doch am Ende mehrer mehr oder weniger halbgarer Versuche der handwerklichen Umsetzung meiner Idee und den damit verbundenen, meiner Idee noch nicht einmal im Ansatz gerecht werdender Werkproben auf Baumarktniveau, endete das Ganze in eben diesem „Geht nicht!“ und dem Entschluss die Dinge beziehungsweise Streben selber in die Hand zu nehmen.

Es war mir inzwischen klar, das die von mir gewünschte Strebe mit der alten traditionellen Kunst des Schmiedens in Verbindung stand und da über das Programm der Duisburger VHS ein ebensolcher Schmiedekurs geboten wurde, dürfte es meiner Ansicht nach doch wohl kein Problem darstellen, sich einen Satz dieser Streben unter fachkundiger Anleitung selber zu drehen.

So machte ich mich also auf den Weg, um mich aktiv mit der alten Kunst des Schmiedens zu beschäftigen und darüber diesen Teil meines Projekts in die eigenen Hände zu nehmen. Geleitet wird das Kursangebot von Heinz Billen, einem sprichwörtlichen Meister der alten Schule, der seit den 70gern dem Schmiede interessierten Volk bis weit über die Grenzen des Niederrheins hinaus kein unbekannter sein dürfte. Beglückt er doch seit Jahrzehnten alle möglichen Handwerker- und Mittelaltermärkten der Region mit seiner Anwesenheit, um dort im wahrsten Sinne des Wortes seinen Mann beziehungsweise seinen Schmied zu stehen und dem Betrachter seiner alten traditionellen Kunstform dessen Inhalte näher zu bringen. Dabei wird all denen, die Meister Billen während einer seiner Demonstrationen über einen längeren Zeitraum beobachten konnten, auch der herbe Charme des Meisters nicht entgangen sein, mit dem er sein Wissen vermittelt.

Dementsprechend herrscht auch in seiner Schmiede im Duisburger Stadtteil Rumeln-Kaldenhausen ein eher rauer und doch herzlich geselliger Umgangston. Als neues, hoch motiviertes Mitglied seines Vermittlungsangebotes an dem Start gehend, schien der Meister nicht im Geringsten an dem Inhalt meiner Pläne und Ideen interessiert zu sein. Was die anging, hatte der Meister offensichtlich seine eigene Vorstellung. Und die lautete nicht gedrehte Streben, sondern Zange.

„Als erstes stellst du dir mal deine eigene Schmiedezange her!“

Auch wenn er mich in der Umsetzung meiner Ideen damit zunächst ausbremsen sollte, gefiel mir die Art und Weise des Meisters, sich nicht im Geringsten für die Marschrichtung meiner Wünsche zu interessieren und mich stattdessen mit dem Inhalt seiner eigenen Vorstellung vertraut zu machen.

„Bei der Herstellung einer Zange kommst du auf einfachem Wege mit allen grundlegenden Techniken des Schmiedens in Berührung! Du lernst das Eisen zu stauchen, es zu strecken und ihm eine Form zu geben! Du lernst mit dem Feuer, dem Eisen und dem Hammer umzugehen und kannst am Ende auf dein erstes, von dir selbst geschmiedetes Werkzeug blicken!“

So sprach der Meister und drückte mir entsprechend seiner Ausführungen einen guten Meter rohes Vierkanteisen in die Hand.

In den folgenden Wochen sollte, dem Willen Meister Billen´s folgend, die Beschäftigung mit den handwerklichen Grundlagen des Schmiedens meine Aufmerksamkeit erfordern und das Projekt Strebe zeitlich erneut in den Hintergrund treten lassen.

Er ließ mich ein, zwei Mal sehen wie es ging und gab mir danach die Möglichkeit ohne weitere Worte zu verlieren einfach zu machen. So entstand unter seiner Führung nicht nur eine Zange, sondern gleichzeitig auch ein für mich durchaus besonderes Gefühl für Zeit, Ruhe, Gelassenheit und das Wiedererwachen einer damit einhergehenden, längst vergessen geglaubte Wertschätzung gegenüber einer Arbeitleistung die man selber zu erbringen weiß.

Auch wenn es dem einen oder anderen überflüssig erscheinen wird, scheint es mir sinnvoll den Inhalt meiner dabei gewonnenen Gedanken und Erfahrungen mitzuteilen.

Zeit, das wurde etwas, das ich mir nicht nur nehmen, sondern vor allem auch geben musste. Ging es mir Anfangs lediglich mal eben um ein „kurzes“ Herstellen der von mir für mein Projekt benötigten Streben. Führte mich der Weg zu diesem Ziel, nun offensichtlich über einen, für mich zeitlich nur schwer einzuschätzenden Herstellungsprozess einer Zange und gerade weil diese Zange zu keinem Zeitpunkt auf der Erledigungsliste meines Weges stand, am Ende ihres Herstellungsprozesses vermutlich keinen weiterführenden Nutzen für mich haben würde und dementsprechend einen spontanen inneren Widerstand in mir weckte, nahm ich diese an mich gestellte Aufgabe an, um ihr und mir die Zeit zu geben, die nötig war um an ihr wachsen und im Sinne des Meisters verstehen zu können.

Ruhe, das wurde für mich der Bereich, den es benötigte das Eisen auf seine Schmiedetemperatur zu bringen. Einem Bereich einer relativen Größe, denn so wie sich das Eisen während seiner Bearbeitung in seiner Form beständig verändert, ist auch der Bereich der Ruhe innerhalb des Aufglühens in einem beständigen Fluss. Glüht das Eisen in einem hellen Gelb, dann wir der Raum der Ruhe ohne Übergang vom Handeln in Aktion besetzt. Ein Zeitraum des beständigen Wandels, der über eine Phase anfänglicher Ruhe auf direktem Wege in einen Zustand aufmerksamer Konzentration auf das eigene Tun führt. Denn wird der Zeitpunkt eines gesättigten hellen Gelbs überschritten, wird das Eisen von einem Augenblick zum nächsten zu einer wirklich spektakulären Wunderkerze, um sich Sekunden später zu einem unwiederbringlichen Bestandteil feststofflicher Vergangenheit zu wandeln.

An Gelassenheit gewinnt man in diesem Prozess sozusagen gezwungener Maßen, wenn man aktiver Bestandteil der oben beschriebenen Metamorphose wird. Vor allem, weil diese Wunderkerzen die sonderbare Eigenart besitzen, sich bevorzugt in einem weit vorgeschrittenen Stadium der Entstehung eines Werkstücks zu entwickeln, das entsprechend der Zeit und Mühe, die es bereits gekostet hat, inzwischen eine Sache des Herzens und der Seele geworden ist.

Heerscharen Panik geleiteter Hände, werden vergebens versucht haben, zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Während der Meister das Wissen besitzt diese Augenblicke der Frustration zu meiden, bleibt seinem Schüler nur Gelassenheit zu entwickeln und sich seinem Schicksal eines langen Weges zu ergeben.

Wer den Weg im Sinne des Meisters geht, der wird möglicherweise am Ende um eine Zange und einem Maß an Ruhe und Gelassenheit reicher, der Zeit und der in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen mit tief empfundener Dankbarkeit und Respekt gegenüber stehen und eine Wertschätzung gegenüber der eigenen Leistung und Fähigkeit empfinden, die in unserer heutigen Gesellschaft keinesfalls als selbstverständlich zu betrachten ist.

Für die Summe der Betrachter mag das Ergebnis nichts weiter sein als eine schlichte Schmiedezange. Für mich wurde diese Zange zum Schlüssel zur Umsetzung eigener Ideen und blieb doch immer eine Zange.

Ein „Geht nicht!“, aus des Fachmanns Munde, vermag mich inzwischen nicht mehr zu schrecken. Denn „Geht nicht!“ gibt’s nicht. Was ich mir in Bezug auf die Umsetzung meiner Ideen vorstellen kann, das wird sich mit den entsprechenden Mitteln auch umsetzen lassen. Schon alleine weil ich die Kraft und die Fähigkeit besitze es mir vorstellen zu können. Möglicherweise wird es ein langer Weg bis zur Umsetzung einer solchen Idee. Doch was soll’s ich habe die Zeit, ich habe die Ruhe und ich habe die Gelassenheit. Und wenn mir am Ende alles zu viel wird, bleibt mir immer noch das helle, herzerfrischende Licht der Wunderkerze.

Von der Zange zur Strebe, war es dann übrigens nur noch ein kleiner Schritt und inzwischen ist an meinem AWO Projekt so ziemlich alles gedreht, was gedreht und alles geschmiedet, was geschmiedet werden wollte. Und das Beste ist, das allen „Geht nicht!“ zum Trotz, alles nahezu so geworden ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Das was noch nicht meinen Vorstellungen entspricht, wird halt im nächsten oder dem übernächsten Semester in Form gebracht. Denn es geht einig um das Tun und nichts sonst.

Text: Peter Markus
Fotos: Frank Bick